Ein Interview mit Steffen Schlandt,
Organist der Schwarzen Kirche
von Frank-Thomas Ziegler
geführt im Herbst 2018
Der Bachchor im Jahr 2018
Den Bachchor gibt es nun seit ganzen 85 Jahren. Er bereichert unser Gemeindeleben jährlich mit mehreren glänzenden Auftritten. Wir neigen deshalb vielleicht dazu, sein Bestehen für selbstverständlich zu erachten. Aber der Bachchor muss, wie eine seltene Pflanze, sorgsam und beständig gehegt und gepflegt werden.
Wir wollten ein Gespür für die neuere Entwicklung dieser wunderbaren Blume und die Mühen, die notwendig sind, sie zum Leuchten zu bringen, erhalten. Deshalb fragten wir seinen Leiter, Dr. Steffen Schlandt:
Lieber Steffen, wie sah die kirchenmusikalische Landschaft in unserer Gemeinde aus, als Du im Jahr 2004 vom Studium nach Kronstadt zurück kamst?
Vieles vom Heutigen gab es auch damals schon: es gab den Bachchor, den Jugendbachchor und das Canzonetta-Ensemble, die Orgelkonzerte des Sommers fanden statt und auch das Konzert zur Jahreswende führten wir bereits 2000 ein. Ich kam zwar 2004 zurück, doch war ich auch vorher in den Ferien ständig zu Hause und konnte Etliches mitgestalten. Die Buchholzorgel und die Hesseorgel hatten wir frisch restauriert. Es gab auch damals Gastchöre und Orgeldelegationen (Führungen). Was es nicht gab, das waren die beiden inzwischen etablierten Festivals Musica Barcensis und Musica Coronensis. Es gab auch kein Weihnachtskindersingen in der Form, in der wir es seit 2012 kennen. Und es gab die diversen Projekte zur Restaurierung der verlassenen Dorforgeln nicht. Musik aus Archiven wurde auch damals aufgeführt, allerdings konnten wir erst 2006-2011 das gesamte alte Archiv erschließen.
Welches waren die besonderen Herausforderungen, denen Du gegenüberstandst, als Du den Bachchor und den Jugendbachchor übernahmst?
Ich übernahm von meinem Vater einen funktionierenden Chor, in dem ich groß geworden war. Das war eindeutig ein Vorteil, da wir direkt mit der Arbeit beginnen konnten, ohne uns herantasten zu müssen. Die Altersstruktur war vielschichtig: es gab sowohl Rentner als auch Sänger des Jugendbachchors, zu dem ich auch gehörte, und der dann von innen heraus den Bachchor verstärkte.
Die Hoffnung, dass es mir gelingen würde, den Bachchor substantiell zahlenmäßig zu vergrößern, wurde nicht erfüllt, doch kamen einige gute Sänger zum Jugendbachchor dazu, so dass sich die Gelegenheit bot, das Repertoire schnell zu erweitern.
Die Proben des Jugendbachchors fanden immer gleich nach denen des großen Chors statt. Das heißt, dass die Sänger von sechs bis acht Uhr im „regulären“ Bachchor und dann von acht bis halb zehn Uhr im Jugendbachchor sangen – fast 4 Stunden lang! Manche der Eltern haben das bestimmt nicht gern gesehen … Doch die Sänger/-innen blieben bis spät abends dabei. Ein Teil singt auch heute noch im Chor mit, und das ist natürlich eine wunderbare Situation – man ist ein eingeschworenes Team.
Steffen Schlandt bei der Musica Coronensis 2018
Inwiefern hast Du die Arbeit mit den beiden Chören systematisch aufbauen können?
StS: Aufgrund der heterogenen konfessionellen Zusammensetzung (manchmal 7-8 Konfessionen) und der Schwankungen (Ein – und Austritte durch den Zuzug und Wegzug aus Kronstadt) war eine systematische Aufbauarbeit kaum möglich. Oft sind die besten Sänger gleichzeitig in ihren jeweiligen Kirchen die Leiter der musikalischen Arbeit. An Hochfesten oder Sonntagen sind sie dann in ihren Kirchen aktiv.
Wir arbeiteten an klanglichen Aspekten, an Aussprache und Verständlichkeit (viele können kein Deutsch), an Klangvolumen und Stimmbildung. Mit dem Jugendbachchor war eine Steigerung der Komplexität möglich, so dass wir auch Werke in bis zu achtstimmiger Besetzung aufführen konnten. Immer wieder stießen auch Ausländer zu uns in den Chor: wir hatten einen Amerikaner, eine Japanerin, etliche Schweizer und vor allem Deutsche, die uns begleitet haben. Diese regelmäßige „Auffrischung“ durch neue Personen hat uns allen gut getan. Für die Aufführung der großen Werke haben wir dann gerne mit Partnerchören (Jugendchor Wilhelmshaven, Bachchor Hannover, Astra-Chor Kronstadt, Kantorei Hohenwestedt, Bachchor Hermannstadt, Lux aurumque Kammerchor Szeklerburg/ Miercurea Ciuc) zusammengearbeitet.
Die Chöre bereichern sowohl das geistlichen Leben der Gemeinde als auch das der Stadt und des Landes. Gibt es bestimmte Projekte und Aufführungen, die Dir in besonderer Erinnerung geblieben sind?
StS: Es gibt Vieles, an das man sich gerne erinnert. Wenn man dann die Aufnahmen wiederhört oder Fotos von Aufführungen findet, dann entdeckt man immer jemanden, der nun nicht mehr mitmacht oder der damals zum ersten Mal mitgesungen hat, und Erinnerungen werden wach. Das Wunderbare beim Miteinandersingen ist, dass man auch die Menschen hinter den „Sängern/-innen“ kennenlernt und versucht, diese auf die Musik einzuschwören. Man arbeitet nicht selten als kleiner Psychologe, um aus den Menschen auch abends um 20 Uhr noch das Beste herauszulocken. Die schönsten Aufführungen sind sicherlich die, die in unserer Heimat, der Schwarzen Kirche, stattgefunden haben – doch verbinde ich intensive Momente auch mit dem Adventssingen in der Repser Gegend in den Jahren 2007-2013. Für den Jugendbachchor ist Tartlau zur zweiten Heimat geworden, und wir singen dort in jedem Jahr innerhalb des Festivals Musica Barcensis, davor innerhalb von Diletto musicale. Die letzten beiden Projekte, die Messe von Kronstadt und Bachs Matthäuspassion, waren sehr erfüllende Erfahrungen.
Heute singen in den beiden Chören Menschen unterschiedlicher Ethnie und Konfession mit. Wie hat sich die diesbezügliche Zusammensetzung der Chöre verändert, seitdem Du sie leitest?
StS: Eigentlich sind wir so bunt wie auch zuvor und ich finde das sehr gut so. Man lernt gegenseitig auch von den Anderen und lässt gerne mal eine andere Meinung gelten. Konfessionelle Schranken müssen wir zum Glück kaum abbauen. Kleine Ausnahmen wie etwa das Singen bzw. Nichtsingen von Werken zum Marienlob sind aber schon vorgekommen.
Wie gelingt es, diese verschiedenen Menschen zum Mitmachen in dem Chor einer evangelischen Gemeinde zu gewinnen?
StS: Wir schöpfen aus dem wunderbaren Brunnen der evangelischen (teilweise katholischen, ökumenischen) Kirchenmusik und dieses kostbare „Getränk“ wollen wir alle zusammen zu uns nehmen.
Dadurch respektieren ganz unterschiedliche Menschen unsere evangelischen Traditionen und singen dann bei unseren Gottesdiensten mit. Sie lernen uns dadurch kennen und
schenken uns durch ihre Stimme Farbe und Kraft zum Gotteslob. Die gemeinsamen Proben und Aufführungen führen dazu, dass diese Menschen für unser Erbe ein Verantwortungsbewusstsein entwickeln und beitragen wollen, dass es erhalten bleibt. Die Musik gibt Vieles zurück – man wird beschenkt und hat ein gutes Gefühl danach.
Gibt es – jenseits der Proben – in den beiden Chören ein geselliges Leben?
StS: Hier gestehe ich reumütig, dass ich ein Partymuffel bin – mir liegt dieser Teil nicht – vielleicht sollte ich mal was dazulernen … Eigentlich bin ich froh, wenn der Chor pünktlich erscheint und wir intensiv zwei Stunden lang singen können.
Chorausflüge und -ausfahrten wiederum finde ich sehr wichtig für den Zusammenhalt der Gruppe, und das sollten wir öfters tun. Ein Aspekt ist sicherlich die zeitliche Komponente – junge Familieneltern können nicht unbegrenzt am Abend fernbleiben.
Welches Projekt, das Du in enger Zusammenarbeit mit Deinem Vater geleitet hast, ist Dir in besonderer Weise ans Herz gewachsen?
StS: Die Sommerorgelkonzerte … Mein Vater wurde gewissermaßen in sie hineingeboren. Er startete als dreizehnjähriger Registrant und ich lernte sie ebenfalls als Kind kennen. Diese finden seit 66 Jahren ununterbrochen statt. Über 8000 Personen haben in diesem Jahr diese Konzerte besucht. Das ist auch eine große Verantwortung und mein Vater ist immer noch dabei!
Woran möchtet Ihr in den kommenden Jahren im Besonderen arbeiten?
StS: Ein weises Chormitglied hat mal auf meine Zweifel mit dem Satz geantwortet: „Es ist wie bei den Wellen – gute Zeiten kommen und gehen“. Generell wird heute viel weniger gesungen als früher. Männerstimmen sind kaum zu finden und notenkundige Personen, die ehrenamtlich im Chor mitmachen wollen, eine Seltenheit. Trotzdem können die Menschen durch weitgesteckte Ziele motiviert werden – das haben wir bei der Matthäuspassion klar gespürt. Die Arbeit bis zu der Aufführung ist wie der ungesehene Teil des Eisbergs … Es vergehen Monate und Jahre und dann ist die Aufführung in 2-3 Stunden vorbei … Man investiert als Sänger unzählige Stunden in das Proben dieser Werke.
In zwei Worten über Wunschwerke? Monteverdis Marienvesper, Bachs h-moll-Messe, Schuberts Es-Dur-Messe … Es gibt Vieles, das ich mir wünschen würde. Hoffnung macht, wie immer, die Jugend – wir müssen von Kindesbeinen an mit den Kindern singen und diese an diese wunderbaren Werke und viele andere heranführen, damit die Kinder auch von der Kraft dieser Quelle kosten können. Ich wünsche mir von den jetzigen Kindern, dass wir sie möglichst weit in die Musik und unsere Gemeinde integrieren können.
Erst kürzlich, im Jahre 2017, ist der Kinderchor der Honterusgemeinde ins Leben gerufen worden. In dieser Zeit hat er bereits eine bewunderungswürdige Entwicklung durchlaufen und gestaltet zahlreiche Gottesdienste und Feiern mit. Wie schafft man es, so junge Kinder für kirchliche Musik zu begeistern?
StS: Ich denke, dass es vor allem die gelebte Gemeinschaft von der Krabbelgruppe über den evangelischen Kindergarten hin und dann die Teilnahme an den Kindergottesdiensten war, die diese Kinder verbindet. Glücklicherweise unterstützen die Eltern diese Gemeinschaft, sodass das Mitwirken in einem Chor zu einer Selbstverständlichkeit wird. Gleichzeitig sind sie sehr interessiert und aufnahmefähig für all das, was ihnen geboten und von ihnen verlangt wird. Die Arbeit mit Kindern in unserer Gemeinde wird sehr unterstützt und jeder Aufwand zahlt sich aus. Kinder finden in der Kirchenmusik einen leichteren Zugang zu den Geschichten aus der Bibel.
Lieber Steffen, vielen Dank für die gewährte Auskunft! Mögt Ihr weiterhin viel Kraft haben, Euch zusammenzufinden, weitgesteckte Ziele zu suchen und Eure Begeisterung für die Musik mit uns zu teilen. Wir danken Euch, den Organisten der Schwarzen Kirche, und den Sängerinnen und Sängern sowie all den Künstlern, die mit Euch zusammen musizieren, von ganzem Herzen für Euer unermüdliches Wirken zum Lobe Gottes und zur Freude unserer Gemeinde!