Prof. Dr. Stefan Tobler wirkt seit 2003 als Professor für Systematische Theologie an der Hochschule für Evangelische Theologie in Hermannstadt. Seit 2005 nimmt er in der Zibinsstadt auch die Leitung des Instituts für Ökumenische Forschung wahr. Schwerpunkte in seiner Arbeit sind der ökumenische Dialog, die Rolle des trinitarischen Denkens im Verständnis der Kirche, die Beziehung zwischen Spiritualität (gelebtem Glaube) und Theologie, wirtschaftsethische Fragen sowie die Stellung der Menschenrechte in der ökumenischen Debatte. Wir fragten Herrn Tobler nach der Zukunft.
Lieber Herr Tobler, in früheren Zeiten erwarteten die Christen die Wiederkehr Christi und das Jüngste Gericht noch als unmittelbar bevorstehend. Mit Wiederkehr und Jüngstem Gericht würde, so waren sie überzeugt, der göttliche Heilsplan vollendet sein. Wie stellt man sich die Wiederkehr Christi in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien heute vor?
Wie es im Besonderen in unserer Evangelischen Kirche mit dieser Frage aussieht, kann ich unmöglich beantworten – darin gibt es wohl kein einheitliches Verständnis. Ich kann nur eine Stimme zum Ausdruck bringen, die von der theologischen Ausbildung geprägt ist.
Die Momente, in denen die Christen die Wiederkehr Christi als unmittelbar bevorstehend erwarteten, gehören einerseits einer kurzen frühen Phase des Christentums an, dem ersten Jahrhundert – und andererseits speziellen Situationen, in denen besondere Ereignisse (Krisen) oder Jahrzahlen (Jahrhundertwende) zu psychologisch geprägten, schwärmerischen Massenphänomenen führten, die aber genauso regelmässig ins Leere liefen: die sichtbare Wiederkunft Christi blieb noch aus.
An der Lehre von der Wiederkunft Christi ist eines wichtig: die Glaubensaussage, dass Gott in Christus der Herr dieser Welt ist, und dass unsere Geschichte und unser leiblich-materielles Dasein nur ein Vorletztes ist, das von einem Letzten umfangen wird: dem göttlichen Heilsplan der Gerechtigkeit, Heilung und Versöhnung. Der Einbruch dieses Letzten kann man sich zeitlich-geschichtlich vorstellen, als Ende der Welt, in der wir leben; oder man kann es sich als Dimension vorstellen, von der unser Leben immer schon durchdrungen und getragen ist: als Gegenwart des Auferstandenen (und somit des Letztgültigen) mitten in dieser Welt (dem Vorläufigen, Vergänglichen). Beide Perspektiven sind biblisch begründet und ergänzen sich. Beide wollen uns dazu befreien und ermächtigen, im Hier und Jetzt zu leben und doch von diesem Hier und Jetzt nicht erdrückt zu werden.
Das Kreuz in einem Sternkreis als Symbol der Wiederkunft Christi(sog. Parusie), Deckenmosaik im Mausoleum der Galla Placidia, Ravenna, Mitte 5. Jh. Quelle: wga.hu
Christus soll, unserem Glaubensbekenntnis nach, kommen, um „zu richten die Lebendigen und die Toten“. Martin Luther und das Augsburger Bekenntnis sprachen noch von „Hölle“ und „Himmel“. Wie müssen wir uns diese Orte vorstellen und welche anderen Bezeichnungen benutzen Sie heute für sie?
Die Glaubensaussage, dass Christus als Richter kommt, ist wunderbar tröstlich. Denn – so die zentrale Aussage der Bibel und auch die entscheidende ‚Entdeckung’ Martin Luthers – dieser Christus ist keine neutrale Instanz, sondern der gnädige Retter; er verurteilt nicht, sondern sein ‚Richten’ ist ein Zurechtrichten, ein Wiedergutmachen. Die Tradition und die liturgische Sprache redet von der Vergebung der Sünde. Das ist treffend: Sünde bedeutet Bruch der Gottesbeziehung, Vergebung ist Wiederaufnahme in die Gottesgemeinschaft.
Nichts Anderes ist mit Himmel und Hölle gemeint. Es sind keine Orte im physischen Sinne des Wortes. Es sind Ausdrücke für die zwei Möglichkeiten: dass der Mensch von Gott umfangen und getragen ist und sich auf diese Beziehung einlässt, oder dass er Gottes Liebe abweist und den Sinn seiner Existenz nur in sich selbst sucht. Wenn man Gott als den Grund und Schöpfer allen Lebens versteht, dann ist ein Dasein außerhalb Gottes letztlich ein Dasein zum Tod, zum endgültigen Versinken ins Nichts – es ist die Hölle. Der Himmel aber ist die Verheißung, dass unser Leben in Gott auch über den biologischen Tod hinaus andauert.
Welche weiteren universellen Zukunftserwartungen hegt heute die Theologie der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien?
Wieder: „die“ Theologie unserer Kirche gibt es nicht. Ich möchte aber auf jeden Fall auch die irdische Dimension der Zukunftserwartungen starkmachen. Die Botschaft Jesu hat keineswegs nur eine jenseitige Dimension. Jesus hat Menschen geheilt, er hat ihnen mit der guten Botschaft von der Liebe Gottes Mut gemacht, und er hat Menschen am Rande der Gesellschaft wieder in die Mitte geholt. Eine gerechte Verteilung der Güter war ihm wichtig, und jede heuchlerische Ausübung der Religion war ihm zuwider. Diese ethische Dimension des christlichen Glaubens kann von der geistlich-religiösen nicht getrennt werden – und sie hat Folgen für die Gestaltung dieser Welt. Die Botschaft vom Reich Gottes ist nicht nur eine jenseitige Botschaft, sondern zielt auf Veränderung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft im Sinne des Einsatzes für die Armen und Entrechteten. Dies ist nicht nur eine Erwartung an die Zukunft, sondern auch eine Mitverantwortung zur Gestaltung der Zukunft.
Haben Sie im Laufe Ihres Lebens festgestellt, dass sich die theologische Lehrmeinung der Evangelischen Kirche hinsichtlich der Zukunft der Welt von den frommen Vorstellungen der Gemeinden unterscheidet?
Theologen und ‚fromme’ Gemeindeglieder sind Teil der gleichen Kirche und leben aus derselben Bibel. Alle sind wir in unserem Leben vor die Aufgabe gestellt, uns am unerschöpflichen Geheimnis Gottes auszurichten, des Gottes, der sich in Christus dieser Welt gezeigt hat. Niemand von uns kann behaupten, er als einziger habe Gottes Wahrheit richtig verstanden – das wäre Überheblichkeit. Auch die Bibel als Gottes Offenbarung ist unerschöpflich. Sie redet oft in Bildern, die der Auslegung bedürfen – und das gilt im Besonderen von jenen Teilen, die von den Erwartungen bezüglich Zukunft der Welt handeln. Wer Bilder ‚wörtlich’ (miss-)versteht, kann ihren Sinn unter Umständen gerade verfehlen. Damit wird nicht gesagt, dass nur Theologen die Bibel richtig verstehen – das würde der zentralen reformatorischen Einsicht widersprechen. Aber es bedeutet, dass ein respektvoller Dialog in der Kirche notwendig ist, der die verschiedenen Perspektiven aufeinander bezieht, statt sie gegeneinander auszuspielen.
Sehr geehrter Herr Tobler, wir danken herzlich für dieses Gespräch!