Gegen die Bluffkultur
Am 16. Februar 1879, vor 145 Jahren, wurde Gustav Arthur Gräser, auch Gusto Gräser, in der Schulmeistergasse Nr. 326 (heute Vlad Țepeș Nr. 1) in Kronstadt geboren. Er starb 1958 in München.
Hermann Müller, Herausgeber von Gräsers Werken und dessen Nachlassverwalter, bietet unermüdlich Informationen auf https://www.gusto-graeser.info/ und hat auch für https://www.siebenbuerger.de/ wertvolle Beiträge verfasst. Wer mehr über Gusto Gräser erfahren möchte, möge sich direkt an ihn wenden; er bietet bereitwillig Auskunft.
Gusto Gräser war skeptisch gegenüber „der Oberflächlichkeit eines sich nur im Zivilisatorischen genügenden Lebensverständnis(ses)“ (Hans Bergel). Er distanzierte sich von dem „Blödbauschegrauen der Bluffkultur“ (Gusto Gräser), dem verblendenden Materialismus der Konsumgesellschaft.
Gräser warb als Redner, Schriftsteller, Dichter und Künstler vor allem in Deutschland, Österreich, der Schweiz und gelegentlich auch in Siebenbürgen konsequent für Genügsamkeit, für die Bejahung des Körperlichen und Spirituellen anstelle von Prüderie und Maschinenglauben, für das Künstlerische anstelle des Industriellen. Der Argwohn der Behörden mündete häufig in Ausweisungen oder Inhaftierungen.
Würdigung
Mehrere Nobelpreisträger, Künstler und Größen des internationalen öffentlichen Lebens gehörten zu seinen Gesprächspartnern, Beschützern und Schützlingen: Hermann Bahr, August Bebel, Ernst Bloch, Richard Dehmel, Isadora Duncan, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Ellen Key, Fürst Pjotr Kropotkin, Wladimir Iljitsch Lenin, Thomas Mann, Erich Mühsam, Friedrich Naumann, Josef Ponten, Rainer Maria Rilke, Johannes Schlaf, Hans Thoma, Mary Wigman u. v. m.
In Siebenbürgen haben sich zahlreiche Prominente des deutschsprachigen Geisteslebens anerkennend über ihn ausgesprochen, etwa Egon Hajek, Harald Krasser, Adolf Meschendörfer, Emil Neugeboren, Oskar Wittstock und Heinrich Zillich. Eine sensible Würdigung verdanken wir Hans Bergel (Wegkreuzungen, 2009).
Ironie und Irritation
Beispiele der Ablehnung sind allerdings ebenfalls überliefert. Bereits als Halbwüchsiger hatte sich Gustav Arthur Gräser den Wegvorgaben der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft entzogen, und die anfangs einseitige Distanz zwischen ihm und dem Milieu der siebenbürgisch-sächsischen Städte entwickelte sich leichthin zu einer gegenseitigen.
Der Schriftsteller und Kunsthistoriker Ernst Kühlbrandt (links im Bild) verwendete Gräser als Vorbild für die Hauptfigur Hans Heimann seines Lustspiels „Der Naturapostel“. Kühlbrandt, dem sich als Kunsthistoriker einige hervorragende Publikationen verdanken, ironisiert in seinem Theaterstück sowohl Gräsers Lebenshaltung als auch das kleinbürgerliche Philistertum seiner Zeitgenossen, bleibt dabei aber selbst weitestgehend in durchschnittlichen Stil- und Denkkategorien seiner Zeit befangen.
„Kürzlich erst bin ich auf ein Lustspiel in vier Aufzügen aufmerksam geworden: „Der Naturapostel“ von Ernst Kühlbrandt (1857-1933) … Das Stück Kühlbrandts, von dem bloß das Manuskript existiert, wurde 1911 in Hermannstadt uraufgeführt. Die Handlung spielt in Wien, im österreichischen Grenzstädtchen „Waldhaus“ und in „Oberpieritz in der Sächsischen Schweiz“. … Der Naturapostel des Stückes heißt Hans Heimann, also auch wie Gusto Gräser stabreimend. Die weibliche Hauptperson Asta ist durch ein Buch – das als Geißelschrift verfaßt wurde – auf die Existenz des Naturapostels aufmerksam geworden, löst ihr Verlöbnis mit dem Buchverfasser und kapert sich den Natur-Jüngling: „Ich werde mich doch nicht mit einem schwachen literarischen Nachbild begnügen, wenn ich das Original haben kann!“ erklärt sie ehrlich. Und nachdem sie nicht nur hübsch, sondern auch vermögend ist, darf sie dem Vater des „Kulturfeindes“ Hans versichern: „Ich habe in den Dolomiten ein hübsches Stück Land gekauft. Da wollen wir Kulturflüchtlinge in friedlicher Weltabgeschiedenheit nach dem Vorbild Ihres großen Sohnes leben.“ Also auf, nach Ascona …“, schrieb Horst Schuller-Anger aus Kronstadt am 22.9.1981 an Wulf Kirsten in Weimar.
Rezension des „Naturapostels“ im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt, 29. 3. 1911
Ein Rezensent der Aufführung, Autor eines im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ vom 29. März 1911 erschienenen Beitrags, verlor offenbar aufgrund des ermüdenden Geplänkels der Dialoge den Faden der Erzählung und widmete sich vielmehr dem Ungenügen der Schauspieler. Das Typoskript des Lustspiels ist im Nachlass Kühlbrandts im Archiv der Evangelischen Kirche A. B. Kronstadt erhalten.
Ernst Kühlbrandt: Der Naturapostel. Typoskript,
Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche A. B. Kronstadt
Der aufrichtige Dank des Verfassers für den Hinweis auf die Rezension im „Tageblatt“ geht an Gudrun Liane Ittu, und für die Übermittlung der Worte Horst Schuller-Angers an Hermann Müller.
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