von Dr. Frank-Thomas Ziegler
Osmanische Teppiche in einer christlichen Kirche? Ist das dann tatsächlich eine Kirche oder etwa doch ein Museum? Und wenn dies eine Kirche ist, dann kann sie mit all ihrer Pracht doch nur eine katholische oder eine orthodoxe sein, oder? Wozu dienen denn die vielen Bänke oder wieso steht der „große Heizkörper“ – gemeint ist die Buchholz-Orgel – auf der Empore? In der Vorstellung vieler Besucherinnen und Besucher ist es nicht möglich, dass so ein berühmter Kirchenbau wie die Schwarze Kirche einer kleinen Minderheitsgemeinde wie der Honterusgemeinde gehört. Und wer ist das überhaupt, diese evangelische Kirche?
Der Aufklärungsbedarf ist immens. So groß, dass ein kleines Projekt der Kinder- und Jugendarbeit zu einem Bildungsprojekt, das über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen gemacht hat, angewachsen ist. Anfangs hatten Pfarrer Peter Demuth und Dr. Ágnes Ziegler die Idee, die Jugendgruppe der Gemeinde durch die Kunst an den Glauben heranzuführen. Man sprach über Kunst und Glauben, und nach einem kleinen Examen durften die Jugendlichen während der Sommerferien ehrenamtlich Führungen durch die Schwarze Kirche anbieten. Es war eine win-win-win-Situation: 1.) Die Jugendlichen lernen ihre Kirche besser kennen und finden neue Freunde, 2.) die Besucher erfahren Wissenswertes aus erster Hand, und 3.) die Gemeinde kann sich ihren Gästen und Besuchern durch die sympathischen Botschafter persönlich erklären.
Der unfassbare Spaß, den man dabei haben konnte, sprach sich schnell herum, und bald wurden auch Jugendliche eingeladen, die nicht zur Gemeinde gehörten. Und sie kamen: Nicht nur aus dem Honterus-Lyzeum, sondern auch aus den Nationalkollegs Șaguna, Meșota und Unirea, aus dem ungarischen Áprily Lajos-Nationalkolleg, aus dem Gymnasium Nr. 25 im Răcădău-Viertel, aus der Schule Nr. 13 im Tractorul-Viertel u.v.m. Jährlich bewarben sich nun etwa fünfzig bis siebzig Jugendliche aus deutsch-, rumänisch- und ungarischsprachigen Schulen für das Projekt, von denen wir den Großteil auch annahmen. Inzwischen ist das Einzugsgebiet der Großraum von Kronstadt; Petersberg und Honigberg sind häufig vertreten, und neulich nahmen etwa zwei Kinder aus Siebendörfer den längeren Anfahrtsweg in Kauf. 2016 nahm ein Schüler aus Bukarest teil, der bei seinen Großeltern in Kronstadt übernachten konnte, und 2023 begrüßten wir eine bezaubernde Teilnehmerin aus Ploiești, die an den Kurstagen per Zug anreiste. Für die Gemeinde hatte die Ausweitung des Projekts erhebliche Folgen: Sie konnte sich nun mehreren Menschen erklären als vorher, denn während des Sommers waren jetzt Kirchenführer täglich von morgens bis abends in der Schwarzen Kirche tätig; und Führungen wurden nicht mehr nur auf Deutsch und Rumänisch, sondern auch auf Ungarisch, Französisch, gelegentlich auch auf Spanisch und Italienisch angeboten.
Fakt ist, dass an der Honterusgemeinde günstige personelle Voraussetzungen für dieses Projekt bestehen: Der Referent für Öffentlichkeitsarbeit ist zugleich promovierter Kunsthistoriker und entwickelt die Angebote für Besucher, die immer auch Kulturvermittlung sind, mit. Zu ihnen gehören inzwischen der hübsche Geschenkeladen und das kleine Café CH9 Specialty Coffee auf dem Honterushof, aber eben auch Konzerte von Steffen Schlandt und natürlich die Kirchenführungen. Gleichzeitig ist die Honterusgemeinde die einzige Gemeinde der Landeskirche, an der – mit Weitblick – die Pflege der unzähligen beweglichen Kulturgüter einer qualifizierten Fachkraft anvertraut wurde. Diese ist ebenfalls promovierte Kunsthistorikerin und hat ihre mehrfach preisgekrönte Doktorarbeit über die Schwarze Kirche geschrieben. Die Ausbildung der Kirchenführer konnte somit in gute Hände gelegt werden.
Angeleitet durch diese Pfarramtsmitarbeiter, lernen die Jugendlichen zwischen Februar und Juni in wöchentlich stattfindenden Kursen über den evangelischen Glauben, über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und die Kunstgeschichte der Schwarzen Kirche. Das Unterrichtsmaterial besteht in einem umfangreichen und fundierten, wunderschön bebilderten „Handbuch für Kirchenführer“, dessen gestiegene Druckkosten die Honterusgemeinde nun bereits zum wiederholten Mal mit Hilfe der Heimatgemeinschaft der Kronstädter bewältigen konnte – und dafür sei letzterer an dieser Stelle der allerherzlichste Dank ausgesprochen!
Die durch das Handbuch und in den Kursen erworbenen Kenntnisse müssen aber von den angehenden Kirchenführern auch weitergegeben werden können, und so üben sie sich im freien Vortrag vor Publikum in mindestens zwei Sprachen, und zwar bei laufendem Publikumsbetrieb in der Schwarzen Kirche! Am Ende der Ausbildung steht ein Examen, dessen Jury von Mitgliedern des Presbyteriums und der Gemeindevertretung gebildet wird.
Wenn heute ein Besucher in die Kirche tritt und fragt: „Was bedeutet es denn, evangelisch zu sein?“, so antworten die Jugendlichen mit einem zentralen Glaubenssatz: „Wir glauben an die Rechtfertigung durch den Glauben. Nicht veräußerlichte Gesten machen uns gefällig vor Gott, sondern die aufrichtige Hinwendung zu Ihm.“ Wenn ein weiterer Besucher fragt, warum die Beschriftungen in der Kirche in deutscher Sprache gehalten sind, so antwortet der Kirchenführer: „Die Honterusgemeinde besteht seit dem Mittelalter, als sich deutsche Siedler auf Einladung des ungarischen Königtums in Siebenbürgen niederließen. Sie ist die wichtigste Impulsgeberin der lutherischen Reformation in Siebenbürgen gewesen und Teil der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen.“ Und wenn ein dritter Besucher fragt: „Warum hat das Taufbecken die Form einer umgestülpten Glocke?“, so korrigieren die Jugendlichen: „Das Taufbecken ahmt nicht die Form einer Glocke, sondern die eines Kelches nach, damit sich die Taufgemeinschaft im Augenblick der Taufe an das Opfer Christi und sein Erlösungsversprechen erinnert.“ Und wenn ein weiterer Besucher fragt: „Wurden die osmanischen Teppiche von orientalischen Händlern in die Kirche gebracht, um Gott für die heile Ankunft zu danken?“, dann kann berichtigt werden: „Die osmanischen Teppiche sind allesamt fromme Schenkungen der Gemeindeglieder, sodass das Haus Gottes für die Gottesdienste geschmückt werden konnte. Für das Haus Gottes war nur das Beste gut genug, und das waren in früheren Zeiten eben nicht italienische oder französische Stoffe, sondern die orientalischen Textilien.“
Selbst jene Besucher, die zunächst nur an dem spektakulären materiellen Kulturerbe der Schwarzen Kirche interessiert waren, erleben es jetzt, mit Hilfe der Kirchenführer, als faszinierender Künder unserer schönen Gemeinschaft. Wir wollen glauben, dass unsere Gemeinschaft den jungen Kirchenführern, die gemeinsam mit uns einen Weg des Verstehens und der Begeisterung gegangen sind, keine fremde Größe mehr geblieben ist. Viele fühlen sich auch nach Projektabschluss der Gemeinde und deren kulturellem Kosmos verbunden. Auch während des Herbstes und Winters, ja sogar noch später, während des begonnenen Hochschulstudiums, kommen sie gelegentlich vorbei, um ehrenamtlich Kirchenführungen anzubieten; einige haben sich auch in andere Projekte der Kirchengemeinde als Freiwillige eingebracht; einige finden den Weg in den Gottesdienst, andere zum Studium der Kunstgeschichte nach Klausenburg oder Heidelberg. Und wir spüren: mit jeder Generation von Kirchenführern hat die Gemeinde nicht nur kurzfristig, sondern auf lange Sicht Fürsprecher und Freunde gewonnen.
Hören Sie auch in die einfühlsame Reportage von Monica Strava auf Radio Bukarest herein.