von Ágnes Ziegler
Leiterin Denkmalressort
Wenn Stadtpfarrer Christian Plajer zum Gottesdienst schreitet, trägt er seine Amtstracht, den oder das Ornat. Er besteht aus einem schwarzen, knielangen Untergewand, dem Dolman. Über dem Dolman trägt der Pfarrer den eng gefältelten Krausen Rock. Auf dem Kopf sitzt das Barett.
Wie aber kommt es zu dieser besonderen Amtstracht?
Bis zur Reformation
In vorreformatorischer Zeit sahen die Ornate der Geistlichen nicht bloß anders aus, sondern hatten auch eine andere Bedeutung. Liturgische Gewänder hatten beinahe einen „überirdischen“ Status. Sie wurden nach der Herstellung geweiht; nur Priester durften sie berühren und sich mit ihnen bekleiden. Nach ihrer Beschädigung durften sie nicht entsorgt, sondern nur verbrannt werden. Das Ankleiden war selbst eine Zeremonie, durch die sich der Priester ganz dem Heiligen unterwarf.
Stadtpfarrer Christian Plajer im Ornat des siebenbürgisch-sächsischen Pfarrers mit Krausem Rock, Dolman und Barett
Bei katholischen Geistlichen gibt es unterschiedliche „Weihestufen“: Subdiakon, Diakon, Priester, Bischof, usw. Die Ornate dieser Weihestufen unterschieden sich äußerlich voneinander. Jeder Ornat setzte sich aus einer Vielfalt einzelner Elemente zusammen. Der größte Unterschied zwischen den Ornaten der diversen Weihestufen bestand hinsichtlich der Obergewänder. Diakone trugen etwa die Dalmatik. Priester waren bei der Messe mit der Kasel gekleidet, bei den Handlungen außerhalb der Kirche mit dem Pluviale.
Gefertigt wurden diese Gewänder aus ausgesprochen kostbaren Stoffen, in denen Seiden- und Goldfäden miteinander verwoben waren, und die oft mit preziösen Stickereien geschmückt wurden.
Beispiele für vorreformatorische Messgewänder, um 1500. Vor dem Altar knien zwei Diakone und zwischen ihnen ein Priester. Der linke Diakon trägt eine blaue Dalmatik, der Priester eine rote Kasel und der rechte Diakon eine goldgelbe Dalmatik. Hans Baldung Grien: Gregorsmesse, circa 1511. Cleveland, Museum of Art. wga.hu.
Martin Luther und seine Wahl
Die Reformatoren konnten die sakrosankte, den Messgewändern zugesprochene Bedeutung nicht mehr mit ihrem Glauben vereinbaren. Sie hatten aber kein brennendes Interesse, Veränderungen daran herbeizuführen. So hielt der Gebrauch der vorreformatorischen Gewänder noch eine Zeitlang an.
Martin Luther verzichtete erstmals im Jahr 1524, als er eine Predigt halten sollte, auf das alte Messgewand. Er tat dies aus zwei Gründen: Einerseits, um ein Zeichen gegen die symbolische Befrachtung der vorreformatorischen Priestergewänder zu setzen. Und andererseits, um zu vermitteln, dass er an einen Rangunterschied zwischen Geistlichen und Laien nicht glaubte.
Martin Luther in pelzbesetzter Schaube mit Schlitzen zum
Durchstecken der Ärmel. Holzschnitt, 16. Jh.
Johannes Honterus trägt auf diesem Holzschnitt noch, wie zu Beginn auch Martin Luther, die Schaube. Darunter werden das Wams und ein fein gefälteltes weißes Hemd sichtbar. Auf dem Haupt sitzt ein weiches Käppchen. Unbekannter Meister: Bildnis Johannes Honterus. Holzschnitt, undatiert. Kronstadt, Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt, Bildsammlung
Luther entwarf aber kein spezielles Gewand für den evangelischen Gottesdienst. Er stieg in schwarzer Bürgerkleidung auf die Kanzel: Er trug Hemd und Wams und darüber einen ärmellosen, etwa knielangen Übermantel mit Kragen, die Schaube, und ein Barett auf dem Kopfe. Luther ging alsbald aber zur Benutzung des Talars über, einem aus der Schaube abgeleiteten Mantel, der bis zum namengebenden Knöchel (lat. talus) herabfiel. Dieser Talar wurde von Professoren als Lehrgewand getragen und wurde auch von den evangelischen Geistlichen übernommen, um sie als „Lehrer“ des Evangeliums auszuweisen. Es etablierte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts europaweit als Luther-Talar (Nicht zu verwechseln mit dem Lutherrock). In seiner heutigen Form ist er zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt worden und wird mit einem sogenannten Beffchen am Kragen getragen, in den norddeutschen Hansestädten mit Halskrause.
Martin Luther im Talar. Holzschnitt, 16. Jh., Detail
Die Sonderlösung in Siebenbürgen
Auch in Siebenbürgen begannen die evangelischen Geistlichen, sich für die Gottesdienste bürgerlich zu kleiden. Man entschied sich wohl in Anlehnung an die Reformatoren dazu, um den protestantischen Gedanken des Laienpriestertums zu vermitteln. Anstelle des Wamses setzte sich hier aber ein anderes Untergewand durch. Bei dem ungarischen Adel in Siebenbürgen war ein Kleidungsstück, das höchstwahrscheinlich osmanischen Ursprungs ist, in Mode gekommen: der Dolman.
Der lange Leibrock wurde an der Taille mit einem Gürtel, der zunächst aus gedrehten Schnüren, später aus einem gefalteten oder gewundenen Stück Tuch bestand, gegürtet. Aus diesen Vorformen entwickelte sich schließlich im Falle des Ornats der schwarze Samtgürtel mit Troddeln aus gedrehten Seidenschnüren, der auch von Stadtpfarrer Christian Plajer getragen wird. Bis zum Gürtel wird der Dolman, wie bereits in der Frühen Neuzeit, durch silberne Spangen, sogenannte Krepeln, zusammengehalten.
Der Kronstädter Stadtpfarrer Petrus Mederus (1602-1678) erscheint in seiner Amtstracht für den Alltag: als Obergewand eine eng plissierte, lange Schaube, den Krausen Rock. Darunter trägt er den farbigen Dolman mit Spangenverschluss (Krepeln) und einen roten Tuchgürtel. Theodor Georg Fronius zugeschrieben, Aquarell, um 1768. Kronstadt, Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt, Bildsammlung
Im Winter trug man statt des Krausen Rocks ein fuchspelzgefüttertes Mente, ebenfalls ein Nachfolger der pelzgefütterten Schaube, die sich mit der Zeit in einen mittels Krepeln verschließbarem Mantel entwickelt hatte.
Diese im 16. Jahrhundert eingebürgerte Kleidung des siebenbürgisch-sächsischen Pfarrers besteht bis heute. Nachdem die Farbe anfangs scheinbar nicht ausschließlich schwarz war, sondern auch rot, blau, grün und sogar Gelbtöne erlaubte, etablierte sich die schwarze Farbe im 18. Jahrhundert endgültig.
Im Alltag trug der evangelische Geistliche über den Dolman zunächst die Schaube. Aus der Schaube entwickelte sich mit der Zeit eine Variante, der sogenannte Krause Rock, der bloß viel enger plissiert ist. Sein Schulterstück ist seit dem 18. Jahrhundert mit ornamentierten und glatten Samtstreifen besetzt.
Im Gottesdienst trug der evangelische Pfarrer noch bis ins 19. Jahrhundert hinein über dem Untergewand (vermutlich dem Dolman) die alten katholischen Messgewänder Kasel, Pluviale und den weißen Ketzel, einen Nachfahren eines seit der Mitte des 11. Jahrhunderts gebräuchlichen, weiten Leinengewandes, das superpelliceum.
Warum aber behielten die evangelischen Gemeinden die Messgewänder bei?
Nach der Reformation war den evangelisch gewordenen Gemeinden die Benutzung von Messgewändern frei gestellt. Der Grund dafür bestand in der Ansicht der Reformatoren, dass die Wahl der Kleidung keine besondere Auswirkung auf den Glauben und das Heil hätten. Die siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden entschlossen sich dazu, die Messgewänder beizubehalten, weil sie einerseits die alte Ordnung nicht unnötig stören wollten, und andererseits, weil sie das Bedürfnis hatten, den festlichen Moment des Abendmahlsgottesdienstes vom Alltag zu unterscheiden. Innerhalb des Gottesdienstes gewährten das Messgewand oder der Ketzel die „Weihe“ für die Amtstracht des Pfarrers. Während noch im Jahrhundert der Reformation, im 16. Jahrhundert, in ganz Europa viele evangelische Gemeinden die alten Messgewänder weiternutzten, behielten die siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden diesen Brauch aber auch noch bis ins 19. Jahrhundert bei und brachten dadurch ihr konfessionelles Selbstverständnis im plurikonfessionellen Siebenbürgen sichtbar zum Ausdruck.
Im 19. Jahrhundert verzichtete man dann allmählich darauf, im Abendmahlsgottesdienst ein Messgewand über das Untergewand zu tragen. Heute wird bei Abendmahlshandlungen nur noch sehr sporadisch und nur regional der Ketzel getragen.
Einflüsse der Bürgermode machten sich auch besonders im Bereich der Kopfbedeckung, der Haarmode und des Schuhwerks bemerkbar. Auf dem Haupte trugen unsere Pfarrer zunächst ein niederes Käppchen mit aufgeschlagenem Rand, dann einen runden, niedrigen Filzhut mit schmaler Krempe, später die Beutelpelzkappe, im 18. Jahrhundert den Dreispitz mit Perücke, im 19. Jahrhundert den Zweispitz oder Zweimaster, und seit 1899 gehört das schwarze Samtbarett zum Ornat. Teilweise haben die Pfarrer aber auch schwarze Zylinder getragen, und im 17. Jahrhundert war bei den Burzenländern – will man bildlichen Darstellungen folgen – ein überraschend prominenter Hut verbreitet.
„Ein Burzenländer sächsischer Pfarrer“ in Alltagstracht. Auf dem Haupt trägt er einen melonenförmigen schwarzen Hut. Sein Dolman ist grün und verfügt über ein violettes Futter; er trägt einen roten Gürtel. Der Krause Rock ist schwarz und mit violettem Futter ausgeschlagen. Aquarell von Luigi F. Marsigli, um 1700, Nationalmuseum Budapest
Der Frauenornat in Siebenbürgen
Wie die Frauenordination selbst, so ist auch die Forderung nach einem eigenen Frauenornat in unserer Landeskirche sehr jung. Eine intensive Diskussion um das liturgische Gewand der evangelischen Pfarrerin gab es erst in den Jahren nach der Wende. Zu einem bestimmten Zeitpunkt bestand in der Landeskirche der Plan, einen Frauenornat zu entwickeln, der zeitgemäß sein und sich gleichzeitig aus der siebenbürgisch-sächsischen Tradition herleiten sollte. In diesem Zusammenhang entstanden Skizzen. Das Heftel auf der Brust ist beispielsweise ein altes Element siebenbürgisch-sächsischer Frauentrachten und figuriert als
Pendant zu den Krepeln des alten Pfarrerornats.
Entwurf für ein Frauenornat, 1990er Jahre
Dieser Initiative wurde damals aber widersprochen: Die Entwürfe seien nicht zeitgemäß, da die Evangelische Kirche A.B. nach der Auswanderung vieler Siebenbürger Sachsen ihren Charakter als Volkskirche verloren habe. Deshalb solle man andere Inspirationsquellen nutzen, etwa Frauengewänder, wie sie sich in der weltweiten Ökumene bereits eingebürgert hatten
Pfarrerin Adriana Florea im sog. Lutherrock (Talar ohne Beffchen) und mit Stola
Es gelang bis zum heutigen Tag nicht, diese Frage zu klären. Es gibt deshalb gegenwärtig keine landeskirchlichen Vorgaben für den Frauenornat, lediglich Empfehlungen. Pfarrerinnen greifen in dieser Situation zumeist auf den Talar zurück, ausgestattet mit dem weißen Beffchen. Um den Talar der ordinierten Pfarrerin vom Talar der Theologie-Studenten zu unterscheiden und um das Schwarz des Gewandes farblich aufzuhellen, tragen einige Pfarrerinnen darüber gern eine aus dem Westen angeregte Stola. Inzwischen wurde auch eine „siebenbürgische Stola“ entwickelt, die u. a. mit einer stilisierten Form des Torturms von Deutsch-Weißkirch als Hinweis auf die Landschaft Siebenbürgen verziert ist.
Pfarrerin Adriana Florea im Talar mit Beffchen
Literaturempfehlungen:
Martha Bringemeier: Priester- und Gelehrtenkleidung. Tunika / Sutane – Schaube / Talar. Ein Beitrag zur geistesgeschichtlichen Kostümforschung. Münster 1974
Victor Roth: Geschichte der Amtskleidung der siebenbürgisch-sächsischen Geistlichen, in: ders., Beiträge zur Kunstgeschichte Siebenbürgens (Studien zur deutschen Kunstgeschichte; 170). Strassburg 1914, 280-316
Richard Schuller: Der siebenbürgisch-sächsische Pfarrer. Eine Kulturgeschichte. Nachdruck der Ausgabe Schäßburg 1930 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens; 27). Köln/Weimar/Wien 2003, 183-187
Evelin Wetter, mit Beiträgen von Corinna Kienzler und Ágnes Ziegler: Liturgische Gewänder in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt in Siebenbürgen. Gewebeanalysen von Corinna Kienzler (2 Bände). Riggisberg 2015