
Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 15. Dezember 2024, dem 3. Advent in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater durch unseren Herrn Jesus Christus. AMEN.
Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Lukasevangelium im 3. Kapitel:
Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jes 40,3-5): „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.“
Der Herr segne sein Wort an uns allen. AMEN.
Liebe Schwestern und Brüder,
In den letzten Wochen erleben wir in Rumänien – nicht zum ersten Mal – eine große politische und gesellschaftliche Herausforderung. Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hat viele Menschen sehr erschreckt. Ich habe von mehreren Seiten gehört, dass man die Nacht von Sonntag auf Montag vor drei Wochen kaum schlafen konnte. Jetzt wurde die erste Runde der Präsidentschaftswahlen vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt. Viele von uns schwanken zwischen Sorgen und Hoffnung. Wie wird sich die Lage nun weiter entwickeln? Es ist zu befürchten, dass die Spaltungen im Land noch größer werden und sich die Fronten verhärten. Wer wird letztlich die Macht übernehmen und dieses Land führen?
Kann eine Wende stattfinden oder führt der politische Weg erst einmal in noch größere Unsicherheiten?
In der ADZ vom Freitag schrieb die Chefredakteurin Nina May einen langen Kommentar zur politischen Situation nach den annullierten Wahlen. Auch sie redet von großen Spannungen im Land, vom Möchtegern-Präsidenten, der als Erlöser aufgetreten ist. Am Anfang ihres Artikels schreibt sie:
„Ich sitze in einem Zug mit unbekanntem Ziel, der zunehmend an Fahrt aufnimmt. Ich sehe aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus und hoffe, dass die Sonne endlich aufgeht! Finde mich stattdessen wieder in einer Achterbahnfahrt zwischen Fassungslosigkeit, Hoffnungsfunken, Enttäuschung und ja, sogar Wut!“
Zeiten der Unruhe und der Unsicherheit erleben wir Menschen immer wieder – im privaten Bereich, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Unser heutiger Predigttext erinnert uns inmitten unserer Sorgen und Fragen an eine sehr entscheidende Frage: Wer soll wirklich unser Herr sein? Johannes der Täufer richtet den Blick der Menschen seiner Zeit und auch unseren Blick heute auf den, der wahrhaft regiert: Gott selbst soll König sein und Jesus Christus ist der einzige Retter, der wirklich von Gott kommt.
Bereitet dem Herrn den Weg. Das ist die Botschaft von Johannes dem Täufer. Er tritt in einer ganz bestimmten Zeit auf.
Dem Evangelisten Lukas war es sehr wichtig, auf die damalige politische Situation hinzuweisen. Denn er verwendet hier viele Wort, um zu berichten, wer zur Zeit des Johannes an der Macht war. Wenn Lukas nur hätte beschreiben wollen, in welcher Zeit Johannes gelebt und gewirkt hat, dann hätten viel weniger Worte genügt. Aber unser Text zählt viele verschiedene Machthaber der damaligen Zeit auf: vom Kaiser über Pontius Pilatus bis zu den religiösen Würdenträgern. Die Mehrheit der Bevölkerung verbindet nicht viel Gutes mit diesen Namen. Diese Machthaber stehen für Ausbeutung und Korruption. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich Erlösung von diesen Unterdrückern.
Sie warten auf den Retter Gottes, der sie befreien soll. Die Sehnsucht wächst von Tag zu Tag. Und die Unzufriedenheit auch.
Bereitet dem Herrn den Weg. Mit diesen Worten tritt Johannes der Täufer in Erscheinung. Er wird bewusst als Gegensatz zu den Machthabern der damaligen Zeit präsentiert. Er hat kein schickes Haus in der Stadt, sondern lebt unter sehr einfachen Bedingungen in der Wüste. Die Menschen sind von ihm fasziniert, weil er glaubhaft ist. Er lebt das, was er auch verkündigt. Und das hat auch uns heutzutage viel zu sagen.
Erstens vermittelt Johannes: „Nicht ich bin der Messias, sondern der Retter wird nach mir kommen. Ich bin es nicht einmal wert seine Schuhe zu binden.“ Wenn Politiker uns vermitteln, dass sie selbst die Rettung bringen, dann sollten wir diesen mit Misstrauen begegnen. Johannes stellt sich ganz anders dar als zum Beispiel die Kaiser Roms. Diesen war sehr wichtig zu betonen, dass sie selbst als Söhne Gottes der Welt die Rettung bringen. Johannes dagegen beansprucht keine Macht für sich selbst. Er will, dass Gott regiert. Gott soll unser König sein!
Zweitens sagt Johannes zu den Menschen, die zu ihm kommen: Tut Buße!
Das heißt, die Menschen sollen sich selbst hinterfragen, wo entspricht ihre eigene Einstellung und ihr Verhalten nicht dem Willen Gottes? Johannes betont, dass jeder einzelne gerecht handeln soll. Er sagt: Wer zwei Hemden hat, soll ein Hemd abgeben an jemanden, der keines hat, und wer genug zu essen hat, soll davon auch abgeben. Die Soldaten und Zöllner sollen ihre Mitmenschen nicht mehr unterdrücken und ausbeuten.
Mit seinen Worten macht Johannes die Menschen damals und auch uns darauf aufmerksam, dass Veränderung bei uns selbst anfängt. Er nimmt uns in die Verantwortung. Wir sollen uns nicht auf irgendwelche Machthaber verlassen, die für uns die Welt in Ordnung bringen. Jeder von uns kann etwas dazu beitragen, dass die Welt um uns her ein bisschen besser wird.
Wir sollen uns nicht entmutigen lassen und denken, dass wir selbst zu klein und zu schwach sind, um Veränderungen zu bringen. Denn in unseren Anstrengungen für Gerechtigkeit und Recht ist Gott immer auf unserer Seite. Er selbst kommt uns zu Hilfe!
Johannes sieht sich mit seinen Worten und seinem Verhalten in der Tradition der Propheten. Ganz besonders in der Tradition des Propheten Jesaja, den er in unserem Predigttext sehr ausführlich zitiert. Die Propheten haben versucht, den Menschen zu zeigen, was Gottes Wille ist und wo ihre Einstellungen und ihr Handeln nicht dem Willen Gottes entsprechen.
Für viele Propheten ist ein sehr wichtiges Kennzeichen, ob man eine Frau oder ein Mann Gottes ist, wie man sich gegenüber den Armen und Schwachen verhält. Sie fordern, dass man für das Recht dieser Menschen am Rande der Gesellschaft eintritt. Und oft habe sie den Machthabern ihrer Zeit vorgeworfen, dass sie eben nicht Gottes Willen tun. Wer die Armen und Schwachen ausbeutet und zu Sklaven macht, ist nicht auf Gottes Seite. Sie betonen: Wer so handelt, gefällt Gott nicht. Diese Menschen können Gott noch so viele Opfer bringen. Was sie tun, bleibt Unrecht und sie stehen Gott nicht nahe. Der wahre Gottesdienst, der Gott gefällt – so betonen viele der Propheten – ist, Recht für die Unterdrückten herzustellen.
Viele der Propheten haben große Probleme mit den Machthabern bekommen, weil sie auf Ungerechtigkeit hingewiesen haben.
Und Johannes dem Täufer ergeht es auch so. Er weist auch König Herodes auf Vergehen hin, die er begangen hat und er wird dafür von Herodes ins Gefängnis geworfen. Aber Jesus betont, dass Johannes es absolut richtig gemacht hat. Jesus sagt über Johannes:
Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
„Bereitet dem Herrn den Weg“ ist nicht nur die Botschaft Johannes’ des Täufers.
Sie ist auch ein wichtiges Thema für unsere Adventszeit. Gott hat uns versprochen, dass er uns besuchen kommt. Und wir dürfen ihn innerlich erwarten. Er kann unsere Herzen berühren und uns inneren Frieden und Hoffnung schenken. Und darauf warte auch ich sehnsüchtig. Aber wenn Gott kommt, hat das auch mit der Welt um uns her zu tun. Unsere innere Einstellung hat Folgen für unser Handeln. Wir richten uns nach Gott, wenn wir fragen, was richtig und falsch ist und das hat dann auch eine politische Dimension, weil Politik zu unserem Leben in der Welt gehört.
Johannes der Täufer und die Propheten helfen auch uns, die Machthaber unserer Zeit zu hinterfragen. Sind sie auf Gottes Seite oder nicht?
Wir können uns Johannes zum Vorbild nehmen. Er hat in der Überzeugung gelebt, dass allein Gott unser König sein soll.
Wie dieses Königtum Gottes aussehen soll, hat Jesus uns besonders deutlich gezeigt. Es herrscht dort nicht Macht und Gewalt, sondern Friede, Liebe und Gerechtigkeit. Jesus geht zu denen am Rand der Bevölkerung. Er hilft den Kranken und den Armen. Er lehrt uns zu teilen und andere so zu behandeln, wie wir auch selbst behandelt werden möchten. Jesus zeigt uns, wie auch schon die Propheten und Johannes der Täufer: Gott ist ein gerechter König. Er tritt ein für die, die Unrecht erleiden, für die am Rande der Bevölkerung, für die Armen und Ausgebeuteten. Gott will, dass all diesen Menschen zu ihrem Recht verholfen wird.
Wenn wir in der Überzeugung leben, dass Gott unser König ist, dann haben auch wir den Auftrag, uns für diese Gerechtigkeit einzusetzen.
Bereit auch ich dem Herrn den Weg? Johannes der Täufer war eine ganz besondere Person und ich will mich auf keinen Fall mit ihm vergleichen. Aber während ich diese Predigt geschrieben habe, wurde mir bewusst, dass auch meine Überzeugungen schon manchmal mit der Politik in Konflikt geraten sind – allerdings nur auf komunaler Ebene:
In Politik mische ich mich nicht ein („Nu mă bag“). Das war immer das Motto meines Mannes und von mir selbst, während der Kommunalwahlen der letzten zehn Jahre, seit wir hier in Rumänien wohnen.
Wir wollten gern ganz unpolitisch unsere Ziele verfolgen. Den Kindern auf den Dörfern Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Wir wollen Kreativität fördern und das Entwickeln einer eigenen Meinung. Und wir wollen zu Frieden und Gerechtigkeit beitragen, indem wir versuchen, einen Ort zu schaffen, an dem sich Kinder unterschiedlicher Herkunft treffen, so dass sich die verschiedenen Kinder kennenlernen können. Unsere Hoffnung ist, dass so Vorurteile zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen abgebaut werden. Wir haben keine politischen Aussagen gemacht und schon gar keine Aussage dafür gemacht, wen wir für wählbar halten und wen nicht. Wir wollten ganz bewusst niemanden beeinflussen. Und doch war es bis jetzt bei jeder Wahl so, dass sich Politiker von uns angegriffen gefühlt haben.
Uns wurden während der letzten Wahlperioden schon die absurdesten Vorwürfe gemacht. Einmal wurde behauptet, wir wollten die ungarisch-reformierte Kirche und auch den Friedhof von Cobor kaufen und dann von allen Gemeindegliedern Gebühren verlangen, die den Gottesdienst oder den Friedhof besuchen möchten. Ein anderes Mal wurde uns vorgeworfen, wir hätten eine der Wahlurnen geklaut, um die Wahlen zu behindern!! Jedes Mal vor den Wahlen ließen viele Eltern ihre Kinder nicht mehr zu uns ins Programm kommen.
Wenn ich unseren heutigen Predigttext höre und mir das Leben Johannes des Täufers ansehe, wird mir immer klarer, warum wir doch jedes Mal hineingezogen wurden in die Politik:
Johannes hatte viele Bewunderer für sein Auftreten und auch viele Feinde. Bei ihm wird ganz deutlich, wenn wir so leben, dass Gott unser König ist, dann kritisiert das diejenigen, die nur Macht für sich selbst wollen. Gott unser König wünscht sich Gerechtigkeit und Frieden für Arme und Reiche, für Schwache und Starke. Wenn wir diesem König den Weg bereiten, dann passiert nicht nur in unserer inneren Einstellung etwas. Unsere Einstellung hat auch Auswirkungen auf unser Leben, und zu diesem Leben gehört immer auch eine politische Dimension. Denn wir sind ein Teil unserer Gesellschaft.
Wenn wir in der Überzeugung leben, dass nur Gott unser König sein soll, dann müssen sich auch die Machthaber dieser Welt an den Maßstäben Gottes messen lassen. Und dann fühlt sich so mancher – wahrscheinlich zu Recht – kritisiert.
Bereitet dem Herrn den Weg. Das ist ein Aufforderung, die viele Folgen hat für unser Leben und die uns Verantwortung überträgt. Aber in dieser Aufforderung schwingt auch schon die wunderbare Verheißung mit, die uns Johannes am Ende unseres Predigttextes zuspricht:
„Und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen!“
Trotz aller Unsicherheiten damals wie heute dürfen wir wissen: Unser Herr regiert. Sein Heil ist größer als jede politische Krise, und sein Reich ist unerschütterlich. AMEN.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.