
Predigt
von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 6. April 2025, Sonntag Judika
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
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Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus
Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Markusevangelium im 14. Kapitel:
Und die Jünger gingen hin und kamen in die Stadt und fanden’s, wie [Jesus] ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passalamm. Und am Abend kam er mit den Zwölfen. Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. Da wurden sie traurig und sagten zu ihm, einer nach dem andern: Bin ich’s? Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
Der Herr segne sein Wort an uns allen. AMEN
Liebe Schwestern und Brüder,
an diesem Passamahl ist die Stimmung anders als bei den vorangegangenen in den letzten Jahren. Seit Jesus in Jerusalem angekommen ist, liegt eine Spannung in der Luft, die man fast mit Händen greifen kann. Die Jünger haben das Gefühl, dass die ganze Stadt darauf warten würde, dass Jesus die vorhandenen Machtverhältnisse umstürzt. Manche Menschen sehnen es herbei, dass Jesus endlich Veränderung bringt und manche haben große Angst davor. Mitten in alle diesen Erwartungen zieht Jesus sich mit seinen Freunden zurück. Was hat er vor? Will er vielleicht mit ihnen einen Schlachtplan besprechen? Aber es kommt wieder einmal ganz anders als die Jünger es sich vorgestellt haben. Jesus sagt bei diesem Abendessen viele Dinge, die sie nicht verstehen. Er redet davon, dass er sterben muss, damit sich die Dinge ändern können. Schon manchmal hat Jesus von seinem Tod gesprochen und den Jüngern sind diese Reden unangenehm. Sie wollen davon lieber nichts hören. Mitten unter den Zwölfen sitzt einer, der in den kommenden Stunden eine besondere Rolle spielen wird. Er ist einer von ihnen. Er zieht schon seit Jahren mit Jesus durch das Land. Was ihm durch den Kopf geht, wissen wir leider nicht, und dabei würden wir ihn so gern besser verstehen.
Die Person des Judas ist schwer zu fassen. Wohl kommt er in allen Evangelien vor und was er tut, wird recht einheitlich beschrieben. Aber es bleiben bei diesem Mann sehr entscheidende Fragen offen: Warum verrät er Jesus überhaupt? Kann Geld dabei als Motivation ausreichen? Die 30 Silberstücke, die er für seinen Verrat bekommt, wären heute vielleicht etwa so viel wert wie ein ordentliches, gebrauchtes Auto. Auch wenn Judas teilweise als geldgierig beschrieben wird – dafür verrät man doch keinen Freund! Oder wollte Judas Jesus aus der Reserve locken und ihn endlich dazu bringen, gegen die Römer zu kämpfen? Das wäre ein deutlich einleuchtenderes Motiv. Judas hat sicherlich gehofft, dass Jesus, sie alle von der Unterdrückung durch die Römer befreit. Eine solche Befreiung kann er sich wahrscheinlich nicht anders vorstellen, als durch einen bewaffneten Kampf. Jesus hat viel davon geredet, dass ein neues Reich mit ihm beginnt – das Reich Gottes. Was kann damit anderes gemeint sein, als dass Jesus als neuer König in Jerusalem herrschen will, so wie früher der große König David? Judas erwartet die Machübernahme mit Spannung. Der Einzug Jesu in Jerusalem bestätigt noch seine Hoffnung, denn die anderen hoffen auch darauf, dass Jesus König wird. Aber dann passiert nichts weiter. Wollte Judas durch die Auslieferung Jesu an die jüdischen Machthaber, Jesus zu einer Reaktion zwingen? Hat Judas gehofft, dass Jesus sich dann wehren würde, so dass es endlich zum bewaffneten Kampf gegen die Römer kommt? So etwas könnte sein, aber die Evangelisten schweigen über solche Beweggründe des Judas.
Eine andere Frage ist, inwiefern Judas verantwortlich ist für das, was er tut. Hat er es selbst mit seinem freien Willen entschieden, Jesus zu verraten? Oder gehört sein Verrat zu Gottes größerem Plan und Judas wurde für diese Aufgabe vorherbestimmt? Im Lukasevangelium wird zum Beispiel beschrieben, dass der Satan in Judas fuhr, bevor er zu den Hohenpriestern geht, um den Verrat Jesu mit ihnen zu verhandeln. Ist das ein Argument dafür, dass er nicht frei entschieden hat, was passiert? Und welche Rolle spielt Jesus beim Verrat des Judas? Wusste Jesus nicht, dass Judas ihn verraten MUSS, damit die Passionsgeschichte ihren Lauf nehmen kann? Hat Jesus ihm vielleicht während des Abendmahls sogar selbst den Anstoß zu seinem Verrat gegeben?
Ist Judas für sein Schicksal zu bedauern oder soll man ihn für sein Handeln verachten? Im Lauf der Kirchengeschichte gab es immer beide Ansichten. Auf der einen Seite Judas der Verräter, dem man kein Mitleid entgegenbringen kann, weil er schlimmer gehandelt hat als sonst irgendein Mensch. Und dann die andere Ansicht: Judas, der eigentlich Gutes wollte, aber die Zeichen nicht richtig gedeutet hat. Oder Judas, der diese Tat tun musste, damit die Erlösung stattfinden kann. Dann ist er sehr zu bedauern.
Trotz dieser einzigartigen Stellung des Judas in der Passionsgeschichte hat Judas mit jedem von uns zu tun. Die Frage, inwiefern jeder von uns für sein Handeln verantwortlich ist, verbindet uns mit Judas. Diese Frage stand auch im Hintergrund, als wir uns am Dienstag in der Bibelarbeit mit Judas beschäftigt haben. Ein Teilnehmer hatte sich gewünscht, dass wir über Judas sprechen und im Hintergrund stand eben diese Frage: Inwieweit sind wir verantwortlich für unser Tun und inwieweit werden unsere Taten vorherbestimmt.
Das mit der Verantwortung ist so eine Sache. Erst einmal muss man sich natürlich verantworten für das, was man tut. Wir müssen selbst abwägen, was richtig und falsch ist, bevor wir handeln. Und doch sehe ich, dass es für manche Menschen einfacher ist, richtig und gut zu handeln als für andere. Denn in was für ein Umfeld wir geboren werden und wie wir aufwachsen, darauf hatten wir keinen Einfluss. Es wird uns aber prägen, ohne dass wir es wollen.
Dazu möchte ich Ihnen von einem Jugendlichen erzählen, den ich vor Jahren kennengelernt habe. Nach dem Studium habe ich ein Jahr in den USA mit Teenagern gearbeitet, die bereits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren. Ich war unter anderem für einen Jungen zuständig, der aus dem Jugendgefängnis zu uns gekommen ist, weil er schon viele Male Dinge gestohlen hatte und in Häuser eingebrochen ist. Er war ein ganz stiller, angenehmer Junge, auch hilfsbereit. Nach und nach habe ich erfahren, dass seine ganze Familie stiehlt, selbst die Großmutter, bei der er gelebt hat, der Vater auch und andere Verwandte. Er ist sozusagen mit dem Stehlen aufgewachsen, für ihn war das Stehlen etwas Normales. Einmal fragte er mich dann: „Warum ist es nicht in Ordnung, Menschen, die mehr als genug haben, etwas wegzunehmen?“ Tja, wie sollte ich da nun argumentieren? Nützt es diesem Jungen etwas, wenn ich sage: So sind die Gesetze, an die wir uns alle halten müssen. Das wusste er schon, denn mit dem Gesetz war er ja schon in Konflikt geraten. Ich habe dann versucht, ihm zu helfen, sich einmal in die Lage der Person zu versetzen, die bestohlen wird. Wie fühlt sich das an? Warum würde sie sagen, dass es schlimm ist für sie, wenn jemand bei ihr einbricht. Aber ich habe gemerkt, Empathie für die Bestohlenen zu empfinden, war für diesen Jungen schwierig. Es ist auch eine hohe Kunst, sich in andere hinein zu versetzen. Erst Recht, wenn man aus einem Umfeld kommt, in dem man das nicht gelernt hat und wo man vor allem damit beschäftigt war, dass man selbst jeden Tag über die Runden kommt.
Der Junge hat wieder gestohlen und er ist letztlich wieder ins Gefängnis gekommen, was mir sehr leid getan hat. Er konnte sich aus seiner Prägung nicht lösen, wollte es vielleicht auch nicht. Für ihn war es viel schwieriger als für mich, ein korrektes Leben zu führen und das hatte sehr viel damit zu tun, wie er aufgewachsen ist. Und darauf hatte er selbst überhaupt keinen Einfluss. Trotzdem ist der Junge vor dem Richter in gleicher Weise für seine Taten verantwortlich wie ich. Damit Ordnung in unserer Gesellschaft gewahrt wird, ist eine solche gesetzliche Regelung richtig und gut, denn trotz Prägung und Schicksal sind wir verantwortlich für das, was wir tun. Das heißt aber auch, dass wir auch dann Gestaltungsmöglichkeiten haben, wenn wir vielleicht aus schwierigen Verhältnissen stammen und das Schicksal es schlecht mit uns meint. Dinge geschehen uns nicht nur, wir können immer auch Entscheidungen treffen und auf Dinge, die uns vorgegeben sind, reagieren. Wenn wir Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, werden wir dabei immer wieder auch Fehler machen.
Deshalb bin ich sehr froh, dass vor Gott eine andere Gerechtigkeit gilt als vor einem weltlichen Gericht. Jesus richtet uns nicht nach unseren Taten, sondern er macht uns gerecht. Das feiern wir in jedem Abendmahl. Jesus ist für uns gestorben, dass unsere Prägungen und unsere Fehler keine Macht mehr über uns haben. Wir gehören nun zu ihm. Jesus will in uns leben und uns seinen Heiligen Geist schenken. Wir dürfen auch nach schlimmen Taten und großen Vergehen noch einmal von vorn anfangen. Ich hätte mir auch für Judas einen solchen Neuanfang gewünscht. Ich bin mir sicher, dass sein Leben anders geendet hätte, wenn er Jesus noch einmal begegnet wäre vor seinem Tod. Jesus hätte auch ihm vergeben und diese Barmherzigkeit Jesu hätte das Leben von Judas verändert. Er hätte gespürt, dass er noch einmal neu beginnen kann.
Wenn wir selbst spüren, dass Gott uns immer wieder vergibt, dann ändert das unseren Umgang mit unseren Mitmenschen. Wir wissen, um die Verwantwortung, die jeder für seine Taten hat, aber wir empfinden gleichzeitig Mitgefühl. Wenn wir die Taten anderer beurteilen, dann können wir uns darüber Gedanken machen, wie es dieser Person wohl geht, was ihre Beweggründe sind und wie sie vielleicht geprägt wurde. Diese Überlegungen helfen uns, barmherziger zu sein. Wir können mehr Geduld und Verständnis aufbringen für schwierige Menschen, die schlechtes tun. Und diese Barmherzigkeit hilft diesen Menschen vielleicht ihre Einstellung zu ändern. Druck – zum Beispiel durch die Androhung von Strafe – hilft vielleicht, dass Menschen sich zurückhalten, Verbotenes zu tun. Aber sie werden wahrscheinlich nicht fühlen, dass ihr Verhalten nicht richtig ist. Nicht Druck, sondern Barmherzigkeit kann Menschen innerlich verändern. Jesus hat diese Einstellung gelebt. Er hat keinen Druck ausgeübt, sondern Menschen mit ihren Fehlern angenommen und dadurch haben sie es geschafft, sich zu verändern.
Liebe Gemeinde, lassen Sie uns in der kommenden Woche bewusst die Barmherzigkeit leben, die Jesus uns vorgelebt hat. Mögen wir einander mit Liebe und Verständnis begegnen, Verantwortung für unser Handeln übernehmen und anderen mit Mitgefühl begegnen. So können wir Zeugen der Gnade Gottes in dieser Welt sein.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
von Vikar Claudiu Riemer
gehalten am 30 März 2025, dem Sonntag Lätare, in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!
I.
Liebe Gemeinde,
in meiner Kindheit in den 1990er Jahren, in Mediasch, war das mit dem Brot so eine Sache. Es gab nicht viele Supermärkte oder große Einkaufsmöglichkeiten wie heute. Stattdessen gab es Brotverkaufsstellen – kleine Läden, in denen es wirklich nur eines gab: Brot.
Und dann geschah etwas Großes! Direkt im Wohnblock vor uns eröffnete eine dieser Brotverkaufsstellen. Für mich als Kind, der fast täglich als eine Art „lebendiger Einkaufswagen“ unterwegs war, „Geh und hol Brot!“, „Geh und besorg noch dies und das!“, war das ein echtes Geschenk. Kein weiter Weg mehr, kein Rennen durch mehrere Straßen.
Und dieser Duft!
Ich kann ihn noch riechen: warmes, frisches Brot. Knusprig außen, weich innen. Der Geruch zog durch das ganze Viertel, als das frische Brot geliefert wurde. Nur ein Nachteil hatte die Sache: Es war das beste Brot im Viertel – und alle wussten das. Die Schlange war lang, und wer nicht früh da war, bekam nichts mehr. Es war weg, . . . finito, . . . ausverkauft.
Warum erzähle ich das? Weil ich heute von einem anderen Brot erzählen darf. Von einem, für das man sich nicht anstellen muss. Von einem Brot, das nicht ausgeht – auch nicht für die Letzten in der Schlange. Von einem Brot, das nach Leben riecht. Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens.“
Was das bedeutet – und wie „Leben“ eigentlich riecht – darüber wollen wir heute nachdenken. Hören wir den Predigttext aus Johannes 6, die Verse 47 bis 51.
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.“
Der Herr segne sein Wort an unserem Herzen.
II.
Liebe Gemeinde, wie riecht Leben?
Vielleicht ist das eine seltsame Frage. Und doch, jeder kennt diesen einen Geruch, der uns plötzlich mit voller Wucht ins Leben zurückholt. Wie ein Wald nach einem Frühlingsregen. Frisch gemähtes Gras. Der erste Kaffee am Morgen. Oder eben: frisches Brot.
Gerüche haben Kraft. Sie wecken Erinnerungen. Sie berühren etwas in uns, das Worte oft nicht erreichen. Sie erzählen von Heimat, Geborgenheit, vom Ankommen. Sie erzählen vom Leben. Manchmal sagt ein Geruch mehr als ein ganzes Fotoalbum.
Jesus spricht vom „Brot des Lebens“. Nicht einfach vom Überleben. Nicht von einem kleinen Bissen, der gerade so reicht, um irgendwie durchzukommen. Sondern von einem Brot, das wirklich satt macht. Das nach Leben schmeckt. Und vielleicht auch danach riecht.
Ich glaube, wenn wir Jesus ernst nehmen, dann hat das Leben mit ihm einen ganz eigenen Duft. Es riecht nach Hoffnung, nach Aufatmen, nach Freiheit. Es riecht nach Gemeinschaft, nach Wärme, nach Freude.
Freude,. . . mitten in der Passionszeit. Ein Sonntag, der nach Leben riecht, selbst im Angesicht von Leid und Tod.
Lasst uns also weiterdenken: Was meint Jesus, wenn er sagt: „Ich bin das Brot des Lebens“? Was für ein Leben ist das und warum macht es satt?
III.
Liebe Gemeinde,
Jesus sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Und er sagt es nicht einfach so im Vorübergehen. Diese Worte stehen im Zentrum seiner Rede. Dabei stellt er zwei Dinge einander gegenüber: das Manna, das die Israeliten in der Wüste empfingen, und sich selbst – als das lebendige Brot, das Gott den Menschen schenkt.
Das Manna war eine wunderbare Gabe. Es kam Tag für Tag vom Himmel, nährte die Menschen unterwegs und hielt sie am Leben. Aber es war eine tägliche Versorgung, nichts Dauerhaftes. Die, die davon aßen, wurden satt, aber sie starben trotzdem. Jesus sagt: Eure Väter haben das Manna gegessen und sind gestorben. Doch wer von dem Brot isst, das ich gebe, wird leben in Ewigkeit.
Damit macht Jesus deutlich, dass es um mehr geht als um leibliche Nahrung. Es geht um das, was den Menschen im Innersten satt macht. Um das, was trägt, wenn alles andere bricht. Um das Leben, das nicht nur von der nächsten Mahlzeit abhängt, sondern aus einer tieferen Quelle schöpft.
Wer ehrlich ist, kennt diesen Hunger. Nicht den des Magens, sondern den der Seele. Viele Menschen funktionieren im Alltag, sie arbeiten, sie leisten, sie planen und organisieren – aber satt werden sie nicht. Es fehlt etwas, auch wenn sie nicht genau sagen können, was es ist. Es ist die Sehnsucht nach Sinn, nach Geborgenheit, nach einem Platz, an dem man wirklich zuhause ist.
Jesus nimmt diesen Hunger ernst. Er bietet sich selbst an. Nicht als moralischer Lehrer oder religiöser Ratgeber, sondern als Lebensquelle. Er sagt nicht: Ich zeige euch, wo das Brot zu finden ist. Er sagt: Ich bin es selbst. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern.
Diese Worte bekommen eine besondere Tiefe, wenn man bedenkt, an welchem Punkt des Kirchenjahres wir stehen. In einer Zeit also, die eher von Ernst und Besinnung geprägt ist. Und doch ist dieser Sonntag wie ein kleines Osterfest. Laetare – Freue dich! Ein Freudensonntag.
Laetare erinnert uns daran, dass das Ziel schon sichtbar wird. Dass die Freude über das neue Leben schon aufleuchtet, obwohl der Weg noch durch das Dunkel geht. Dass das Brot des Lebens bereits ausgeteilt ist, auch wenn das Kreuz noch bevorsteht.
Die Freude an diesem Tag liegt in der Gewissheit: Gott versorgt. Gott ist da. Und was er gibt, das reicht. Es ist genug für alle. Man muss sich nicht anstellen und fürchten, zu spät zu kommen. Das Brot des Lebens ist da. Für dich. Für mich. Für die Welt.
IV.
Liebe Gemeinde,
Ich erinnere mich noch genau an diesen Duft. Das frische Brot aus der Verkaufsstelle direkt vor unserem Wohnblock. Wie ich als Kind da stand, in der Schlange, mit dem Geld in der Hand. Wie groß die Freude war, wenn ich rechtzeitig kam, wenn ich eines der letzten Brote ergatterte. Und wie enttäuschend es war, wenn ich zu spät war und nur das Schild „S-a terminat pâinea“ – „Das Brot ist alle“ da hing.
Bei Jesus gibt es kein „Ausverkauft“. Bei ihm muss man sich nicht beeilen, nicht vordrängeln, nicht mit Mühe seinen Platz sichern. Das Brot, das er gibt, geht nicht aus. Es ist genug da. . . für alle, die kommen. Für die Ersten. Und für die Letzten. Für die Starken. Und für die, die kaum noch stehen können.
Er ist das Brot des Lebens. Nicht nur für den Augenblick. Nicht nur für den Sonntagmorgen. Sondern für jeden Tag.
Wer von ihm empfängt, muss sich nicht anstellen; muss nicht mehr Angst haben, zu kurz zu kommen.
Wer von ihm empfängt, wird satt. Nicht oberflächlich, sondern tief. Nicht nur im Kopf, sondern im Herzen. Nicht nur mit Gedanken, sondern mit Leben.
Laetare – freu dich. Nicht, weil alles leicht ist. Sondern weil alles getragen ist. Weil der, der sagt „Ich bin das Brot des Lebens“, dich meint. Mich meint. Uns alle meint.
Vielleicht riecht Leben ja wirklich wie frisches Brot. Wie etwas, das duftet, weil es mit Liebe gemacht ist. Wie das Essen, das die Oma jedes Mal gekocht hat, wenn man zu Besuch war.
Weil es Wärme in sich trägt. Weil es still und stark nährt, ohne sich aufzudrängen.
Nimm davon. Heute. Jetzt. Und wenn du es schmeckst, dann wisse: Das ist nur der Anfang. Denn was Jesus gibt, ist mehr als Brot. Es ist Leben. Und dieses Leben ist für dich bestimmt.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN
Predigt
von Vikar Claudiu Riemer
gehalten am 23. März 2025, Sonntag Okuli,
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
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I.
Liebe Gemeinde,
es gibt Momente, in denen uns ein Gedanke so plötzlich trifft, dass wir erst einmal sprachlos sind. Ein Moment, in dem uns durch etwas völlig Alltägliches etwas tief Wahres bewusst wird. So ein Moment war es für mich vor ein paar Tagen.
Am Donnerstag Nachmittag kam die kleine Vilma aus dem Kindergarten nach Hause, voller Energie und Tatendrang. Sie wollte mit mir basteln, aus ihrem Osterbastelbuch. Also setzten wir uns zusammen an den Tisch, schnitten Figuren aus… eine kleine Theaterbühne, verschiedene Tiere. Und wie das so ist, wenn Kinder spielen, blieb es nicht beim Basteln. Sie wollte Geschichten hören. Eine nach der anderen.
Und dann, irgendwann, sagte sie: „Jetzt eine gruselige Geschichte, Tati!“
Ich musste lachen und fragte: „Und was braucht eine gruselige Geschichte?“
Sie überlegte kurz und sagte dann mit fester Stimme: „Dunkle Bäume, ein Monster und ein Held… ein Superheld, so wie Gott, der alle rettet.“
Ich schaute sie erstaunt an. Denn genau am vorigen Abend hatte ich angefangen, mich mit dem Predigttext für den heutigen Sonntag zu beschäftigen. Und im letzten Vers heißt es:
„Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“
Ein starker Held.
Meine Tochter hatte einfach so das Herzstück dieses Verses zusammengefasst.
Ein Held inmitten der Dunkelheit. Ein Held, der rettet. Ein Held, der da ist, wenn die Angst kommt.
Genau darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext. Es geht um einen Mann, der mit Gott ringt. Der mit Anfeindungen kämpft. Der sich verlassen fühlt, und doch am Ende sagen kann: „Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held.“
Hören wir auf die Worte aus Jeremia 20, 7-11:
„HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“
II.
Es gibt Geschichten, die wir erzählen, um Angst zu spüren, um Gänsehaut zu bekommen. Und es gibt Geschichten, die wir erzählen, weil wir Angst haben. Weil wir ringen mit dem, was wir erleben. Weil wir nach Worten suchen, um das Chaos in uns irgendwie greifbar zu machen.
Die Geschichte Jeremias ist so eine Geschichte. Es ist keine erfundene Erzählung mit einem spannenden Helden und einem bösen Monster. Es ist die Realität eines Mannes, der mitten in der Dunkelheit steht. Der sich berufen fühlte, für Gott zu sprechen, und doch feststellen musste, dass dieser Auftrag nicht nur Ehre brachte, sondern auch Einsamkeit.
Um Jeremias Worte wirklich zu begreifen, müssen wir uns in seine Zeit hineinversetzen. Er lebt in einer unruhigen und gefährlichen Zeit. Das Königreich Juda steht kurz vor dem Untergang. Das Volk und seine Anführer stehen vor einer Entscheidung: Umkehren zu Gott oder an einer trügerischen Sicherheit festhalten?
Jeremia ist der Prophet, der sich hinstellt und sagt: „Ihr müsst umkehren, sonst wird diese Stadt fallen.“
Doch niemand will das hören. Die Priester und die anderen Propheten verkünden eine ganz andere Botschaft: Friede, Freude, Eierkuchen.
Während Jeremia von Umkehr und Gericht spricht, reden andere nur von Sicherheit und Hoffnung. Und so passiert, was fast immer passiert, wenn jemand eine unbequeme Wahrheit ausspricht: Man will ihn loswerden.
Jeremia hat sich für Gott entschieden. Er hat seine Botschaft verkündet, in der Hoffnung, dass die Menschen ihn hören. Aber was geschieht? Sie lachen ihn aus. Sie verspotten ihn. Sie bedrohen ihn sogar. Er wird nicht als Prophet geachtet, sondern als Spinner hingestellt, als jemand, den man nicht ernst nehmen muss.
Und genau das ist sein Schmerz. Er fühlt sich von Gott überwältigt, ja fast hintergangen. „HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen.“ Es klingt beinahe wie eine Anklage.
„Gott, du hast mich in diesen Auftrag gelockt! Du hast mich berufen – und jetzt? Jetzt stehe ich hier, allein, verlacht, verspottet.“
Man spürt die Zerrissenheit. Auf der einen Seite hat Jeremia sich Gott anvertraut. Auf der anderen Seite kostet ihn dieser Glaube alles. Und irgendwann kann er nicht mehr.
Wer Gott nachfolgt, geht nicht immer den einfachsten Weg. Wer treu bleibt, erfährt nicht immer sofort Gerechtigkeit. Auch wir kennen das. Momente, in denen wir uns fragen: „Warum Gott? Warum dieser Weg? Warum diese Dunkelheit?“
Jeremia kommt an einen Punkt, an dem er sagt: „Ich kann nicht mehr.“
„Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen.“
Er versucht, sich zu lösen. Es wäre so viel einfacher, einfach zu schweigen. Keine Botschaft mehr zu verkünden. Keine Angriffe mehr zu erleben. Keine Verantwortung mehr zu tragen.
Aber es geht nicht.
„Aber es war in meinem Herzen wie brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber ich konnte nicht.“
Das ist spannend an diesem Text: Jeremia kann nicht aufgeben. Auch wenn alles in ihm danach schreit, sich zurückzuziehen – Gottes Wort brennt in ihm.
Es ist kein angenehmes Feuer. Kein kleines, wärmendes Licht. Es ist ein brennendes Feuer, das ihn durchdringt.
Und das ist der Punkt, an dem etwas geschieht. Jeremia fühlt sich zerrissen zwischen Zweifel und Glaube, zwischen Klage und Vertrauen. Und doch – er bleibt nicht in der Klage stecken.
Und dann sagt er diesen einen Satz:
„Aber der HERR ist mit mir wie ein starker Held.“
Nicht, weil plötzlich alles gut geworden ist. Nicht, weil sich sein Leben über Nacht verändert hat. Sondern, weil er erkennt: Ich bin nicht allein.
Das ist die Wende. Gott ist nicht erst dann da, wenn das Leid vorbei ist. Er ist mitten darin.
Das ist auch die Botschaft der Passionszeit. Jesus selbst kannte diesen Weg. Auch er wurde verspottet, verlacht, angegriffen. Auch er hat in Gethsemane gerungen, hat am Kreuz gerufen:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Doch er blieb. Er blieb am Kreuz.
Ein kleines Wunder – denn hätte er gewollt, er hätte absteigen können.
Er hätte sich retten können, hätte das Leiden beenden können.
Aber er tat es nicht. Nicht, weil er schwach war – sondern weil er stark war.
Weil er wusste, dass dieser Weg notwendig war.
Weil er aus Liebe blieb.
Er vertraute auf Gottes Plan, und tat es aus Liebe zu uns Menschen. Er vertraute dass Gott ihn hält, auch wenn er sich in dem Moment verlassen gefühlt hatte.
Jeremia und Jesus haben eines gemeinsam: Sie sehen Gott nicht sofort als den starken Helden. Aber sie vertrauen darauf, dass er da ist.
Und das ist auch unsere Herausforderung.
Es gibt Zeiten, in denen wir Gott nicht spüren.
Es gibt Zeiten, in denen wir uns fragen, warum er schweigt.
Aber der Name dieses Sonntags Okuli erinnert uns:
„Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“
Wir richten unseren Blick nicht auf das, was uns Angst macht.
Nicht auf die Dunkelheit.
Sondern auf den, der mit uns geht.
Auch wenn wir ihn nicht sofort spüren oder hören… er ist da.
III.
Jeremia steht nicht am Ende eines einfachen Weges. Sein Leben bleibt herausfordernd. Die Menschen hören ihm nicht plötzlich zu, seine Gegner verschwinden nicht über Nacht. Und doch hat sich etwas verändert. Nicht seine Umstände, sondern sein Blick darauf.
Denn er erkennt: Gott ist mit ihm.
Vielleicht ist das eine der tiefsten Wahrheiten des Glaubens: Nicht immer verändert sich unsere Situation sofort – aber unser Blick darauf kann sich verändern.
Jeremia ist nicht der Einzige, der das erfahren hat. Auch viele andere Menschen in der Bibel gingen Wege, die nicht leicht waren.
Mose fühlte sich überfordert, als Gott ihn berief.
Hiob verstand nicht, warum ihn Leid traf, obwohl er treu war.
Und Jesus selbst rief am Kreuz:
„Eli, Eli, lema sabachthani? – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
All diese Menschen hatten ihre dunklen Stunden. Doch in all diesen Geschichten gibt es einen roten Faden: Gott verlässt sie nicht.
Manchmal fühlt es sich so an, als stünde man mitten in einem Sturm, ohne Schutz, ohne Halt. Doch Jeremia erinnert uns: Gott ist unser starker Held – auch wenn der Sturm nicht sofort aufhört.
Und das ist vielleicht das Entscheidende, was wir mitnehmen können.
Wir sind nicht immer davor bewahrt, schwierige Wege zu gehen.
Nicht alles löst sich von heute auf morgen.
Nicht jedes Gebet bekommt sofort eine sichtbare Antwort.
Aber: Wir gehen diese Wege nicht allein.
Wir stehen vielleicht vor Herausforderungen, Fragen, Zweifeln.
Doch wir dürfen lernen, unseren Blick auf Gott zu richten.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass er uns nicht verlässt.
Denn selbst wenn wir ihn nicht immer sehen oder spüren, ist er da… unser starker Held.
Und darauf dürfen wir uns verlassen – heute, morgen und für alle Zeit. Wir müssen nur unsere Augen stehts auf Ihn richten.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN
Predigt
von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 16. März 2025, Sonntag Reminiszere
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll gehalten am 16. März 2025.pdf
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus
Liebe Gemeinde, anstatt den für heute vorgeschlagenen Predigttext zu lesen, möchte ich mit Ihnen gemeinsam das Apostolische Glaubensbekenntnis sprechen:
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
vor zwei Wochen habe ich mit den Konfirmanden aus der Gegend von Reps und Fogarasch eine kleine Freizeit gemacht. Es waren insgesamt fünf Teilnehmer. Drei von ihnen werden schon bald – nämlich am Sonntag nach Ostern – konfirmiert; dann gab es noch einen Jungen, der nächstes Jahr konfirmiert wird, und dazu noch unsere Tochter Johanna. Sie ist ein bisschen jünger als die anderen, aber sie ist sehr interessiert und hat sich gut eingebracht. Zwei Jungen kommen aus Fogarasch, einer aus Cobor und ein Mädchen aus Leblang.
Wir haben auf die Freizeit zurückgeblickt: Was haben wir schon gehört und erlebt im Konfirmandenunterricht? Was ist mir besonders in Erinnerung geblieben? Und was möchte ich über die Konfirmation hinaus für mein Leben aus dem Konfirmandenunterricht mitnehmen? Denn die Konfirmation ist so etwas wie ein Zwischenstop auf unserem Lebensweg. Wir haben die Möglichkeit, einmal anzuhalten und uns zu fragen, was wir eigentlich glauben. Was uns an Gott und Jesus wichtig ist und wie unser Glaube uns helfen kann, unser Leben gut und zufrieden zu leben. Und dann gehen wir mit neuen Dingen im Gepäck weiter. Bei der Konfirmation werden die Konfirmanden ja dann auch gefragt, ob sie sich zum Glauben unserer Kirche zugehörig fühlen und ob sie bei diesem Glauben bleiben möchten. Passend dazu haben wir uns das Apostolische Glaubensbekenntnis genau angesehen und darüber gesprochen: Was finden wir an diesem Text gut? Was verstehen wir nicht? Was stört uns?
Und dann kam der Höhepunkt der Freizeit – das habe nicht nur ich so empfunden, sondern das haben auch die Konfirmanden danach so gesagt: Die Teilnehmer durften ihr eigenes Glaubensbekenntnis schreiben. Für mich war sehr interessant zu sehen, was sie verändert und was sie beibehalten haben. Gott Vater und Schöpfer finden alle gut und viele haben aus dem ersten Teil des Glaubensbekenntnisses Formulierungen in ihren eigenen Text übernommen. Bei Jesus und dem Heiligen Geist wurde mehr verändert.
Heute am Anfang der Passionszeit möchte ich vor allem auf Dinge eingehen, die bei Jesus gegenüber dem Glaubensbekenntnis abgeändert wurden. Die Konfirmanden haben sehr wichtige und sehr gute Dinge geschrieben. Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele vorlesen:
„Ich glaube an Jesus Christus, der als Kind in einer Krippe geboren und der Sohn Gottes ist. Er hat geheilt, geholfen und gerettet. Er wurde verraten und gekreuzigt, um uns zu retten und uns Hoffnung zu geben.“
„Ich glaube an Jesus Christus. Er hat uns gezeigt, wie groß Gottes Liebe ist. Ich glaube, dass wir Jesus wiedersehen und das Leben friedlicher wird. Ich glaube an die Kraft der Vergebung und das ewige Leben bei Gott.“
„Ich glaube an Jesus, der gezeigt hat, dass jeder zu Gottes Familie gehören kann und wie groß Gottes Liebe ist.“
„Ich glaube, dass wir die Welt mit Güte und Mut verändern können. Gott ist Liebe und das Licht der Welt. Niemand ist allein, denn wir sind füreinander da.“
Ich finde, die Konfirmanden haben sehr gute Sätze formuliert. Und ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen in diesen Sätzen Dinge aufgefallen sind, die anders sind als im Glaubensbekenntnis.
Der Schwerpunkt hat sich bei den Aussagen über Jesus verschoben. Er ist zwar auch für uns gestorben und auferstanden, aber er hat auch gelebt. Und was er in seinem Leben getan hat, ist wichtig für unseren Glauben.
Aber im Apostolischen Glaubensbekenntnis wird über das Wirken Jesu in unserer Welt geschwiegen. Sie haben es wahrscheinlich im Ohr: „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria [UND… direkt danach] gelitten unter Pontius Pilatus.“ Warum kommt gleich nach der Jungfrauengeburt die Leidensgeschichte Jesu? Das Leben Jesu war wohl den Kirchenvätern nicht so wichtig. Oder vielleicht haben sie gedacht, die Gläubigen wissen genug über Jesus, dass sie diese Lücke in Gedanken selbst füllen können. Wie würden Sie denn für sich diese Lücke füllen?
Wenn ich versuche, das Leben Jesu für mich in Gedanken zusammenzufassen, dann wird ein Wort sehr wichtig, das in den Sätzen der Konfirmanden als ein Schlüsselwort vorkommt, im Apostolischen Glaubensbekenntnis aber nicht: die Liebe. Jesus ist in die Welt gekommen, um uns Gottes Liebe zu zeigen. Er hat von der Liebe Gottes erzählt und sie erklärt. Er hat das Wort Abba – deutsch Papa, Vater, als Anrede für Gott eingeführt. Er hat Gott immer wieder mit einem liebenden Vater verglichen. Gott ist ein Vater, der seinen Kindern die Freiheit lässt, auch von ihm weg zu gehen, auch Fehler zu machen und der sich freut, wenn sie dann wieder zu ihm zurück kommen.
Und vor allem hat Jesus diese Liebe gelebt. Er hat Gottes Liebe zu den Menschen gebracht. Er hat Menschen geheilt. Und er ist zu denen gegangen, die von der Gemeinschaft ausgegrenzt worden sind. Er hat sich von Menschen berühren lassen, die aussätzig waren. Er hat mit Zöllnern gegessen, die von den Menschen verhasst waren, weil sie mit den Römern gemeinsame Sache gemacht haben und geholfen haben, die Ausbeutung durch die Römer im Land durchzusetzen. Er hat Prostituierten erlaubt, in seiner Gemeinschaft einen Platz zu finden. Er hat am Sabbat Menschen gesund gemacht. All das zeigt: Er hat immer die einzelnen Menschen wichtig genommen. Er hat jedem eine neue Chance gegeben.
Und dieser Mensch ist dann von den Machthabern getötet worden, eben weil er die Liebe Gottes mit voller Überzeugung gelebt hat. Es ist sehr wichtig, diesen Zusammenhang zu erkennen. Jetzt in der Passionszeit denken wir vor allem über das Leiden und Sterben von Jesus nach. Wir können Jesu Leiden, Tod und Auferstehung aber nur verstehen, wenn wir es in Zusammenhang bringen mit seinem Leben: Der, der die Liebe Gottes gelebt hat, wurde gekreuzigt. Der Sohn Gottes, der von seinem Vater von ganzem Herzen geliebt wird und der in den Augen Gottes genauso gelebt hat, wie Gott sich unser Leben wünscht, der ist gekreuzigt worden.
Wir glauben, dass Jesus ganz Gott und ganz Mensch war. Er selbst braucht keine Erlösung vom Tod. Aber er ist freiwillig Mensch geworden, damit jeder von uns einen Zugang zu Gott finden kann. Durch sein Leben hat Jesus uns gezeigt, dass die Tür zu Gott für uns offen steht, dass wir zu ihm gehören dürfen mit all den Fehlern, die wir haben. Und Jesus hat durch sein Leben gezeigt, dass es am Ende ins Recht gesetzt wird, wenn wir uns für die Liebe einsetzen.
Das ist das Opfer, das Jesus gebracht hat. Er wusste, dass seine Art zu leben, den Mächtigen der Welt nicht gefällt und dass er dafür sterben muss. Aber er hat den Tod am Kreuz wissentlich in Kauf genommen, weil er wusste, dass wir nur so erfahren können, wie wichtig jeder von uns Gott ist. Und er wollte uns zeigen, wie ein gutes Leben aussehen kann. Ein Leben, das aus der Liebe Gottes gelebt wird. Ein solches Leben ist nicht bequem. Man wird damit kein Held und es kann passieren, dass man den Hass der Mächtigen auf sich zieht, weil ein Leben aus der Liebe Gottes zeigt, was eigentlich wichtig ist. Es provoziert die Mächtigen, weil es ihre Vorgehensweise kritisiert und in Frage stellt. Aber ein solches Leben bringt Erfüllung. Jesus sagt: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“
Wenn wir in der Liebe Jesu unser Leben führen, macht uns das frei von den Zwängen der Welt, frei vom Streben nach Macht oder Gesundheit, Anerkennung oder Geld. Wir erleben, dass wir an dem Teil haben, was wirklich wichtig und richtig ist.
Und ein solches Leben wird am Ende von Gott ins Recht gesetzt. Das zeigt uns die Auferstehung Jesu. Der Tod und auch die Mächtigen dieser Welt haben nicht das letzte Wort, sondern die Liebe Gottes.
In diesem Zusammenhang fällt mir immer ein Mensch ein, dem die Liebe auch wichtiger war als sein eigenes Leben: Janusz Korczak. Er war ein berühmter jüdischer Arzt, der zur Zeit des Nationalsozialismus ein jüdisches Waisenhaus im Warschauer Ghetto geleitet hat. Dann kam der Tag, an dem die Kinder ins Konzentrationslager abtransportiert wurden:
„Als die Kinder schon einwaggoniert waren,“ so berichtete der Augenzeuge Igor Newelny später, „erfuhr der deutsche Platzkommandant, dass der hagere, alte Mann mit dem kurzen Bart, der die Kinder begleitete, Janusz Korczak hieß. Es fand dann folgendes Gespräch statt: ‚Sie haben den „Bankrott des kleinen Jack“ geschrieben?‘ [ein damals auch in Deutschland populäres Kinderbuch] ‚Ja‘. ‚Ein gutes Buch. Ich habe es gelesen, als ich noch klein war. Steigen Sie aus.‘ ‚Und die Kinder?‘ ‚Die Kinder fahren, aber Sie können hierbleiben.‘ ‚Sie irren sich‘, erwiderte Korczak, ‚nicht jeder ist ein Schuft,‘ und er schlug die Waggontür hinter sich zu.“
Janusz Korczak wollte den Kindern unbedingt so viel Angst wie möglich nehmen, indem er sie begleitete. Er wusste, wohin die Reise gehen wird. Die Liebe zu den Kindern war ihm wichtiger als sein Leben. Auch wenn Janusz Korczak gar kein Christ war, hat er die Liebe Gottes gelebt und wir können von ihm sehr viel davon lernen, wie Nachfolge Jesu aussehen kann.
Die Liebe, die Jesus hier auf Erden gelebt hat, ist die Liebe Gottes unseres Vaters. Ein Konfirmand hat auch in seinem Glaubensbekenntnis geschrieben: „Ich glaube an Gott, den Vater, der die Welt mit Liebe geschaffen hat. Und der seinen Sohn für uns geopfert hat.“ Ich habe ihn dann gefragt, was er denn damit meine, dass Gott seinen Sohn geopfert habe. Und er hat so einen eindrücklichen Satz gesagt: „Na, dass er ihn hat gehen lassen, obwohl er wusste, was passieren wird.“
Wenn wir glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist, dann muss sein Tod unumgänglich gewesen sein. Gott lässt Jesus nicht sterben, wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, dass wir mit Gott versöhnt werden können. Nur Jesus konnte die Verbindung zu Gott für uns wiederherstellen und er konnte es nur dadurch, dass er als wirklicher Mensch gelebt hat und gestorben ist.
Leben und Sterben Jesu gehören zusammen. Das wird im Apostolischen Glaubensbekenntnis nicht in der Weise deutlich, wie ich es mir wünschen würde. Aber vielleicht ist es auch gerade gut, dass das Leben Jesu im Glaubensbekenntnis ausgespart wird. Es lädt uns ein, die Lücke immer wieder selbst zu füllen, mit dem, was wir schon über Jesus gehört und im Glauben an ihn erlebt haben.
Maßstab kann dabei nur die Liebe Gottes sein, die in Jesus lebendig wurde. Wir haben heute schon im Wochenspruch und in der Schriftlesung einen wichtigen Satz von Paulus über diese Liebe Gottes gehört. Es ist eine Liebe, die auf alle Menschen zugeht, gerade auf die, die sich auf ganz unterschiedliche Weise verloren fühlen: Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.
AMEN
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN
Predigt
von Pfarrer Joachim Lorenz
gehalten am 9. März – Sonntag Invokavit
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz gehalten am 9. März 2025.pdf
Lesung: Matthäus 4, 1-11
Lieder:
50, 1-4 Wir danken dir, Herr Jesus
245, 1-3 Ach bleib mit deiner Gnade
233, 1-3;4 Ein feste Burg ist unser Gott
250, 1 Es kennt der Herr
Predigt Hebräer 4, 14-16
Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten. Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat. Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit!
Gottes Sohn ist in die Welt gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören.
Wochenspruch 1. Johannes 3, 8b
Die Werke des Teufels? Da beißen sich Christen gleich fest und streiten sich. Gibt es überhaupt einen Teufel? Wie sieht er aus? (Bestimmt nicht so, wie er in Bildern und Filmen gezeigt wird!) Woher kommt das Böse in der Welt? Warum lässt Gott es zu?
Das sind Fragen, die uns natürlich ernsthaft bewegen können. Aber: ich verstehe den Wochenspruch auch so, dass Gott uns sagt: Das lass mal getrost meine Sorge sein! Was dich interessieren, trösten, ermutigen soll, ist, dass durch das Kommen von Jesus die Werke des Teufels zerstört werden.
Wenn wir uns zu viel mit dem beschäftigen, was wir nicht wissen können, dann mischen wir uns in Gottes Angelegenheiten ein. Wir zerbrechen uns seinen Kopf. Wir versuchen, ihm ins Handwerk zu pfuschen, egal ob mit natürlicher oder künstlicher Intelligenz. (Beides ist gut, aber es hat eben auch seine Grenzen!)
Eigentlich ist das komisch. Wir sind dann wie Leute am Stammtisch oder am Gartenzaun oder an der Schlange im Supermarkt. Wir meinen, die Welt besser zu verstehen als Menschen, die einen wesentlich besseren Überblick haben als wir.
Aber lustig und hilfreich ist es nicht! Das Beschäftigen mit solchen Fragen lenkt uns von dem ab, was wir verstehen und in unser Leben umsetzen können. Sicher, wir sollen uns eine wirkliche Meinung bilden. Wenn mehr Menschen das tun würden, wäre manches Ergebnis von Wahlen ganz anders ausgefallen. Was aber Gottes Handeln angeht, da dürfen wir so manches getrost ihm überlassen.
Nun aber zum eigentlichen Predigttext. Der Brief an die Hebräer verwendet eine Sprache, die nicht unsere ist. Er ist für Juden geschrieben, die sich damit auskennen. Sie sind aber auch Christen geworden. Darum sind viele Sachen für uns nicht so leicht zu verstehen.
Erst waren sie begeistert für Jesus und den Glauben an den Erlöser. Doch dann haben sie sich daran gewöhnt. Es war nichts Neues mehr. Vielleicht haben sie sich sogar gelangweilt. Es war nicht mehr die Freude und Begeisterung des Anfangs. Jemand hat mal eine Beziehung zwischen Mann und Frau so beschrieben: Zuerst hast du Schmetterlinge im Bauch, siehst alles durch eine rosarote Brille. Du bist verliebt! Alles ist aufregend und spannend. Aber dann gewöhnst du dich, es ist nicht mehr so wie am Anfang. Dann musst du LIEBEN! Dieser Schritt ist viel schwerer als sich zu verlieben.
So ähnlich war das auch für die Hebräer mit dem Glauben an Jesus. (Wie heißt das so schön in manchen Filmen: Ähnlichkeiten zu unserer Situation sind rein zufällig und gar nicht beabsichtigt. – Oder vielleicht doch?) Der Hebräerbrief hat das Anliegen, uns JESUS vor Augen zu malen. Mit oft für uns rätselhaften Worten will er uns Jesus groß machen. Er will zeigen, was wir durch und mit Jesus haben. Dass es sich lohnt, festzuhalten am Glauben, auch wenn uns nicht danach ist. Er ist nicht nur gut für die Zeiten des „Verliebtseins“. Er will unser Begleiter für das ganze Leben sein! Auch dann, wenn es nicht so rosarot ist, wenn wir uns dafür entscheiden müssen, ihn zu lieben. Er ist der „Oberste Priester“, der „Große Hohepriester“. Also nicht ein Mensch, der wie die Hohepriester damals einmal im Jahr in das Heiligtum ging und Opfer brachte für die Sünden des Volkes. Dann konnte er dem Volk verkündigen, dass die Sünden des einen Jahres vergeben sind. Der GROSSE Hohepriester bringt durch sein Opfer ein für alle Mal die Sünde der Welt zu Gott. Mehr ist da an Opfer nicht nötig.
Er tut das nicht weltfremd. Er kann wirklich „mit-leiden“, weil er als Mensch mitten in der Welt gelebt hat. Er sagt uns in egal welcher Situation unseres Lebens nicht teilnahmslos: „Ach du Armer, das muss ja schlimm für dich sein“. Er freut sich wirklich mit uns und er leidet wirklich mit uns. Das macht ihn vertrauenswürdig. Darum dürfen wir freimütig, gewagt, zuversichtlich zu ihm kommen. Bei ihm ist Barmherzigkeit, Gnade und Hilfe zu finden. Alles zu seiner Zeit.
Unsere erste Aufgabe ist darum nicht, uns damit zu beschäftigen, wie wir die Werke des Teufels loswerden. Das lassen wir getrost Gottes Sorge sein. Wir dürfen den Satz im Hebräerbrief als Ermutigung hören: Lasst uns an dem Bekenntnis zu ihm festhalten! Und uns dann natürlich bemühen, das Böse zu lassen und das Gute zu tun. In der Verbindung mit ihm, geleitet von seinem Geist.
Bei ihm, dem großen Hohepriester, finden wir, was wir wirklich brauchen: echtes Mit-Leiden, echtes Verstehen, echte Vergebung, echten Frieden, echte Gnade und echtes Leben.
Wenn Sie möchten, dann sagen wir gemeinsam Amen dazu.
Predigt
von Pfarrer Joachim Lorenz
gehalten am 2. März 2025, Sonntag Estomihi
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz gehalten am 2. März 2025.pdf
Lesung: Hebräer 4, 12-13
Lieder: 295, 1-3 Herr Jesu, Gnadensonne (zur Beichte)
214, 1-3 Lobt Gott, den Herrn
Liedblatt: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht
243, 1-5 Sonne der Gerechtigkeit
135, 1-3 Wir glauben all
243, 6-7 Sonne der Gerechtigkeit
Predigt Lukas 10, 38-42
(Übersetzung BasisBibel)
Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm ihn eine Frau als Gast bei sich auf. Ihr Name war Marta. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu. Aber Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte: „Herr, macht es dir nichts aus, dass meine Schwester mich alles allein machen lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!“ Aber der Herr antwortete: „Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. Aber nur eines ist notwendig: Maria hat das Bessere gewählt, das wird ihr niemand mehr wegnehmen.“
Also so einfach ist das nun wirklich nicht! Wenn nur das Hören gut ist, wo kommen wir denn da hin? Wer würde Orgel spielen, die praktischen Dinge in der Gemeinde erledigen, Kirchenkaffee vorbereiten usw., wenn wir die Worte von Jesus 1:1 auf unsere Wirklichkeit übertragen würden?!
Der Protest ist berechtigt. Und vielleicht geht es Ihnen so wie mir, wenn Sie diesen ziemlich bekannten Text hören oder lesen. Ich bin immer wieder irritiert, wenn ich die viel zu einseitigen Worte von Jesus höre.
Hier muss einfach ein „Aber“ kommen! Aber: bei Jesus gibt es nicht nur Schwarz oder Weiß. Es gibt ein „A bis Z“. Ein „Anpacken“ bis „Zuhören“. Sagt Jesus nicht auch: „Wer meine Worte hört UND tut …“? Heißt es nicht auch „Seid nicht nur Hörer des Wortes, sondern auch Täter“? Was wäre im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter mit dem Ausgeraubten geworden, wenn der Samariter nur zugehört hätte, wie der arme Kerl stöhnte und um Hilfe rief? Die Hilfe bestand im Anpacken.
Trotzdem gibt Jesus in unserem Predigttext dem Zuhören eindeutig den Vorrang. Wer ihn hört, hat das große Los gezogen. Er hat das beste Teil.
Ich denke, es hängt auch damit zusammen, dass Zuhören nicht gerade eine weit verbreitete Gabe ist. Woher weiß ich das? Von mir selbst, denn ich habe mehr Probleme damit, gut zuzuhören als die Geschirrspülmaschine einzuräumen. Ich beobachte, dass ich da keine Ausnahme bin.
Oft beobachte ich auch, wie Menschen gleichzeitig aufeinander einreden. Jeder will seine eigene Weisheit loswerden. Was der andere sagen will, scheint nicht von Bedeutung zu sein. Warum soll man darum zuhören?
Ich beobachte auch, wie jemand einfach nicht zu Wort kommt, weil der andere nicht aufhört zu reden.
Die andächtig zuhörende Maria wird von Martha kritisiert. Das Problem ist aber nicht, dass Maria zuhört (was in diesem Fall damals eigentlich mehr Männersache war). Das Problem ist, dass Martha mit all der Arbeit allein bleibt. Maria hätte ihr helfen müssen! Das versteht jede Frau. Wir Männer verstehen das nicht unbedingt. Wir können ja herumsitzen und sind damit vollkommen ausgelastet.
Auch in unseren Tagen ist das richtige ZuHören nicht die Tätigkeit, die am meisten praktiziert wird. Sonst würden viele drauf kommen, dass hinter großen Reden von einflussreichen Leuten nicht viel Sinnvolles steckt. Denn Zuhören heißt ja nicht einfach nur, die Klappe zu halten und den anderen reden zu lassen. Zuhören ist das, was uns von Maria, der Mutter Jesu, berichtet wird. Sie hörte und bewegte die Worte in ihrem Herzen.
Martha war fleißig. Fleißig sein ist gut! Aber eben nicht die Hauptsache, wenn Jesus spricht. Da ist Zuhören gefragt. Vielleicht habe ich so großes Verständnis für Martha, weil ich ihr Verhalten so gut kenne. Ich weiß, wie wichtig es ist, die Bibel aufzuschlagen und zum Hören auf Gottes Wort Zeit zu haben. Aber es gibt ja immer so sehr viel „Wichtiges“ – oder sagen wir „Wichtigeres“ – zu tun, als in der Bibel lesen und die Zeit mit Beten zu füllen! Dabei weiß ich doch sehr wohl, dass es im Leben mit Jesus von A(npacken) bis Z(uhören) geht. Oder meist umgekehrt. Von Z wie Zuhören bis A wie Anpacken. Ich kenne die Aussage von Martin Luther, dass er, wenn er viel zu tun hat, erst recht viel betet.
Nun kommt noch ein anderer Aspekt dazu. Heute ist der letzte Sonntag vor der Passionszeit. Im Wochenspruch sagt Jesus: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem.“ Das ist keine Einladung zum touristischen Besuch der Heiligen Stätten mit Übernachtung im 3-Sterne-Hotel und mit der Jagd nach den schönsten Souvenirs aus Israel. Es ist die Einladung Jesu, ihm wirklich und ernsthaft nachzufolgen. Sein Ziel ist nicht ein weiches Bett. Er will den Willen seines himmlischen Vaters tun. Er geht den Weg bis zum bitteren Ende und lädt seine Nachfolger ein, diesen Weg mitzugehen. Denn „Hinauf nach Jerusalem“ zu gehen heißt für Jesus an dieser Stelle, den Weg des Leidens zu gehen.
Weil aber Nachfolge nicht für jeden Christen bedeutet, immer nur zu leiden, heißt es für uns besser: Jesus konsequent nachfolgen. Bei Jesus sein. Dicht an ihm dran sein. Leben wie er, hoffen und lieben wie er. Handeln wie Jesus gehandelt hat. Das geht nicht, ohne zuerst zu hören, was er sagt.
Am Anfang sagte ich: „So einfach ist das nicht“. Wenn wir Jesus nachfolgen wollen, dann müssen wir den Spagat aushalten zwischen A wie Anpacken und Z wie Zuhören. Wir müssen dabei sogar das Alphabet umdrehen. Denn zuerst soll das Zuhören stehen und aus dem Zuhören folgt das Anpacken.
Natürlich wäre es spannend, wie es mit Maria und Martha weiter ging. Noch spannender ist es aber, wie es bei uns selbst weitergeht. Wenn es auch nicht so einfach ist – es lohnt sich, zuerst zuzuhören. Dem anderen neben mir. Und vor allem Jesus.
Predigt
von Pfarrer Joachim Lorenz
gehalten am 23. Februar 2025, dem vorletzten Sonntag vor der Passionszeit – Sexagesimae
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz gehalten am 23. Februar 2025.pdf
Thema: Hören mit Ohren, Augen, Herz und Nase
Lesung: Hebräer 4, 12-13
Lieder:
295, 1-3 Herr Jesu, Gnadensonne (zur Beichte)
214, 1-3 Lobt Gott, den Herrn
Liedblatt: Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht
243, 1-5 Sonne der Gerechtigkeit
135, 1-3 Wir glauben all
243, 6-7 Sonne der Gerechtigkeit
Predigt: Apostelgeschichte 16, 6-15
Paulus und seine Begleiter zogen weiter durch Phrygien und das Gebiet von Galatien. Denn der Heilige Geist hinderte sie daran, die Botschaft in der Provinz Asia zu verkünden. Als sie schon fast in Mysien waren, wollten sie nach Bithynien weiterreisen. Doch der Geist, durch den Jesus sie führte, ließ das nicht zu. Also zogen sie durch Mysien und kamen zum Meer hinab nach Troas. In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Makedonien stand vor ihm und bat: »Komm herüber nach Makedonien und hilf uns!« Gleich nachdem Paulus die Erscheinung gehabt hatte, suchten wir nach einer Möglichkeit, um nach Makedonien zu gelangen. Denn wir waren sicher: Gott hatte uns dazu berufen, den Menschen dort die Gute Nachricht zu verkünden.
Von Troas aus setzten wir auf dem kürzesten Weg nach Samothrake über. Einen Tag später erreichten wir Neapolis. Von dort gingen wir nach Philippi. Das ist eine bedeutende Stadt in diesem Teil Makedoniens und eine römische Kolonie. In dieser Stadt blieben wir einige Zeit.
Am Sabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss. Wir nahmen an, dass dort eine jüdische Gebetsstätte war. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die an diesem Ort zusammengekommen waren. Unter den Zuhörerinnen war auch eine Frau namens Lydia. Sie handelte mit Purpurstoffen und kam aus der Stadt Thyatira. Lydia glaubte an den Gott Israels.
Der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten von Paulus aufmerksam zuhörte. Sie ließ sich taufen zusammen mit ihrer ganzen Hausgemeinschaft. Danach bat sie: »Wenn ihr überzeugt seid, dass ich wirklich an den Herrn glaube, dann kommt in mein Haus. Ihr könnt bei mir wohnen!« Sie drängte uns, die Einladung anzunehmen.
Der Heilige Geist hinderte sie daran, in die und in die Richtung zu gehen, um dort den Menschen von Jesus zu erzählen. Er ließ es nicht zu. Da ist die große Frage: Wie haben Paulus und Timotheus und die, die mit dabei waren, erkannt, dass die Ampel auf Rot stand? Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, gönnt uns keine Antwort. Aber gerade das ist doch für viele Christen eine brennende Frage. Als ob es selbstverständlich wäre, steht dort nur, dass der Heilige Geist gesagt hat: Stopp. Er erlaubt. Wie erkenne ich denn, welchen Weg ich gehen soll? Wie erkenne ich, was das Gute ist, das ich behalten soll, wie es in der Jahreslosung heißt? Was soll ich tun, wenn aus meinen Plänen nichts wird, auch wenn es gute Pläne sind, auch wenn sie geistlich sind? Soll ich sagen, ich will das ja für den Herrn etwas machen und dann meine Pläne durchsetzen? Soll ich davon ausgehen, dass es Widerstände sind, wie es sie eben im Leben gibt und speziell auch im geistlichen Bereich? Soll ich akzeptieren, dass die Ampel auf Rot steht? Soll ich, wie man so schön sagt, abwarten und Tee trinken?
Die Bibel lässt offen, wie das bei Paulus damals war. Und dann kommt wieder so etwas Rätselhaftes. Kaum waren sie am Meer, hatte Paulus in der Nacht, eine Erscheinung. Man könnte es auch einen Traum nennen. Ein Mazedonier ruft sie nach Europa. Ohne Diskussionen gehen sie einfach los. Fahren mit dem Schiff los, denn es geht ja darum, von Asien nach Europa zu kommen, um dort das Evangelium von Jesus Christus weiterzusagen. Woher wusste Paulus, dass dieser Weg richtig ist? Hat er eine grüne Ampel gesehen? Oder was ist passiert, dass er hier sicher war? Bei den anderen Plänen, wo die Ampel auf Rot stand, war er sicher, dass Gott das nicht möchte. Woher wusste Paulus in dieser Erscheinung, die er hatte, dass der Mann, der da zu ihm gesprochen hat, aus Europa war? Gab es Diskussionen im Team? Haben sie vielleicht überschlagen, wie hoch die Kosten sind? Können wir uns das leisten? Haben sie überlegt, wie sie am besten an ein Schengen-Visum kommen? Wenigstens das kommt nicht in Frage. Denn selbst heute gehört Mazedonien nicht zu „Schengen“.
Paulus hatte eine Erscheinung, einen Traum. Das war Gottes Traum. Paulus hat Gottes Traum geträumt, nicht seinen eigenen. Und er sagt nicht: „Träume sind Schäume. Was soll ich in Europa?“ Nein, er ist losgezogen. Und wenn er das nicht getan hätte, wenn er diesen Traum abgelehnt hätte, dann würde die Blumenauer Kirche heute nicht so voll oder leer sein, wie sie jetzt ist. Weil sie nämlich gar nicht gebaut worden wäre. Der Traum und der Gehorsam des Paulus waren der Schritt des Evangeliums nach Europa. Weil Paulus gehorsam war, kam er nach Europa. Weil Paulus zwischen eigenen Fantasien und dem, was Gott ihm sagte, unterscheiden konnte.
Gottes Wort hören und das Herz nicht verschließen, das ist das Thema dieses Sonntags. Und ich glaube, diesen Predigtext, den ich um ein paar Verse verlängert habe, ist wegen Lydia gewählt worden. Lydia hat von Jesus gehört und der Herr tat ihr das Herz auf. So steht es dort. Sie glaubte schon an Gott, an den Gott Israels. Aber nun glaubte sie auch an Jesus. Sie sagte nicht: „Am Sabbat am Fluss beten, das reicht doch. Mehr brauche ich nicht“. Sie ließ sich das Herz öffnen. Sie hätte ihr Herz auch verschließen können. Das Ganze geschah, weil Paulus losgegangen war. Und dann ging er dort, wo er eine jüdische Gebetsstätte vermutete, nämlich an den Fluss. Wahrscheinlich hatte er mit Männern gerechnet. Paulus war ein Jude und bei den Juden spielte es eine große Rolle, dass genügend Männer für einen Gottesdienst da sind. In einem Musical über Paulus wird diese Stelle ein wenig provozierend dargestellt. Da sagt einer von den Begleitern des Paulus: „Ach, das sind ja nur Frauen!“ Ob Paulus das gedacht hat oder nicht – keine Ahnung. Das ist ja auch egal. Entscheidend ist, dass er diesen Frauen von Jesus erzählte.
Was können wir nun für uns damit machen? Wir sollen ja nicht nur schöne Geschichten aus der Bibel hören.
Ich glaube, viele Christen träumen. Ein Kurator in einem Dorf, mit dem ich in den 90er Jahren immer wieder zu tun hatte, hatte einen Traum. Immer wenn ich dorthin kam, schaute er mich an und fragte: „Kommen unsere Leute noch nicht zurück?“ Aus seinem Traum wurde nichts. Aber anderes geschieht: Die Kirche dieses Dorfes, die am Einstürzen war, wird wieder aufgebaut. Und zwar nicht nur von Leuten, die ein schönes Baudenkmal erhalten wollen. Es sind Menschen, die diese Kirche mit neuem Leben füllen wollen. Ganz anders, als dieser Kurator sich das vorgestellt hat. Aber es passiert etwas. Der Traum wird anders wahr.
Vielleicht träumen manche von einer lebendigen Gemeinde. Von einer Gemeinde, die Licht in die Stadt bringt. Eine Gemeinde, die erfüllt ist mit dem Gesang von Alt zur Orgel, und von Jung, manchmal auch zur Gitarre. Vielleicht träumen manche von Menschen, die fragen: „Welches ist die Aufgabe, die mir Gott in dieser Gemeinde, dort wo ich bin, gegeben hat?“ Vielleicht träumen manche davon, dass die Gemeinde wie ein Magnet ist. Eine Gemeinde, die Menschen anzieht, weil sie merken: „Dort kann ich Gottes Wirken erleben. Dort kann ich heil werden.“
Ich habe mir erlaubt, etwas großzügig das Wort „Erscheinung“ mehr mit „Traum“ zu übersetzen. Viele gehen von einem Traum aus, weil Paulus diese Erscheinung in der Nacht hatte. Und ein vernünftiger Theologe schläft ja hoffentlich in der Nacht, um am nächsten Tag fit zu sein. Und weil wir in der Bibel immer wieder auch erfahren, dass Menschen im Traum von Gottes Wegweisung erfahren. Das berühmteste Beispiel ist wohl von Josef. Der träumte, er soll die Maria nicht verlassen, obwohl sie nicht von ihm schwanger war. Und die Weisen aus dem Morgenland haben geträumt, sie sollen nicht wieder zum König nach Jerusalem gehen. Egal ob wir es Erscheinung oder Traum nennen. Was Paulus erlebt hat, ist nicht abhängig von der Nacht und auch nicht vom Schlaf. Manchmal träumen Christen in einem sehr wachen Zustand, mit offenen Augen. Sie träumen, dass da irgendwer in irgendeiner Weise zu ihnen sagt, „Komm herüber und hilf uns oder hilf mir.“ Mit offenen Augen. Zum Beispiel, dass man merkt, da fehlt jemand im Gottesdienst, der sonst immer kommt. Dann rufen wir ihn hinterher an oder gehen vorbei und fragen: „Geht’s dir gut? Wir haben dich vermisst.“ Es tut ja gut, wenn jemand das sagt. Man kann mit offenen Ohren träumen. Zum Beispiel, wenn man das Geschrei der Nachbarn hört, die sich immer wieder streiten. Vielleicht ist das einer der Träume, die wir mit offenen Ohren wahrnehmen. Um dann zu wissen, da ist meine Aufgabe. Dort brauchen Menschen meine Hilfe. Auch das ist so eine Möglichkeit, ein „Komm herüber und hilf uns“ zu träumen. Manchmal kann man auch mit offenem Herzen träumen. Zum Beispiel, wenn man Jugendliche wahrnimmt, die eine andere Art haben. Die andere Musik hören. Die sich nicht so sehr von harten Kirchenbänken begeistern lassen. Und von Texten, die sie nicht oder kaum verstehen. Dabei müssen wir ja nicht aufgeben, was uns vertraut ist. Aber wir wollen fragen, wie können wir so miteinander Gemeinde sein und Gottesdienst feiern, dass alle sagen, ja, hier ist mein Platz.
So kann man mit den Augen, mit den Ohren, mit dem Herzen träumen. Und mit der Nase kann man auch träumen. Manchmal passiert es mir, wenn ich durch die Stadt gehe, da habe ich plötzlich so einen unangenehmen Geruch in der Nase.
Genauer gesagt: Da wird mir fast schlecht, weil es übel stinkt. Dann weiß ich schon: irgendwo in der Nähe sitzt wieder dieser Mann, der bestimmt seit 20 Jahren kein Stück Seife und kein Wasser gesehen hat. Kein Wasser, höchstens Wässerchen, den Wodka, in der Kehle. Ich muss gestehen, dass ich dann einen großen Bogen mache, weil mir wirklich schlecht wird. Natürlich darf ich meine Nase verschließen – aber erst, wenn sie wahrgenommen hat, dass jemand durch seinen Geruch sagt: Komm herüber und hilf! Die Nase darf ich verschließen, aber nicht mein Herz. Mein Herz, das durch die Nase aufmerksam geworden ist, dass jemand Hilfe braucht. Auch wenn es unmöglich scheint, dass dem noch zu helfen ist. Er braucht die gute Nachricht von der Freiheit und von der Liebe durch Gott.
Träume können entstehen, wenn wir unterwegs sind und Werbung sehen, die uns vorgaukelt: Reise an den Traumstrand und du wirst ein erfülltes Leben haben! Oder: Kaufe bei uns Crispy Pui mit Cartofi Prăjiți, so wirst du Lebensfreude pur haben. Das kann in uns einen Traum von einer Gemeinde wecken, wo Menschen wirklich erfülltes Leben finden. Wo man echte Freude erfahren kann, die einem nicht im Halse stecken bleibt, wie so manches Crispy-Pui oder Cartofi Prăjiți.
Gott redet durch sein Wort. Die Frage ist, hören wir? Ich meine nicht unbedingt mit den Ohren, da wäre ich nicht gut dran mit meinen schlechten Ohren. Oder die Augen meine ich auch nicht nur. Hören wir? Das heißt, sind wir offen für den Traum Gottes mit uns und mit unserer Gemeinde?
Ich habe einen Spruch gelesen, der mir sehr zu denken gegeben hat. „Wenn wir uns beschweren, dass Gott nicht redet, aber die Bibel geschlossen halten, dann sind wir wie jemand, der auf eine WhatsApp-Nachricht wartet, aber das Telefon ausgeschaltet hat“. Gott redet und wir sollen unsere Herzen nicht verschließen. Wir sollen nicht aufgeben, wenn die Ampel mal auf Rot steht, obwohl wir etwas planen, von dem Gott einfach begeistert sein muss. In unserem Predigtext steht das Verhältnis zwischen Rot und Grün 2 zu 1. Zweimal Rot, einmal Grün. Und es kann sein, dass in unserem Leben fünfmal Rot und einmal Grün ist. Wir sollen darum nicht aufgeben. Wir sollen erwarten, dass Gott redet und uns einen Traum schenkt. Wir sollen mit offenen Augen, mit offenen Ohren, mit offenen Herzen durch diese Welt gehen. Manchmal, zum Glück nur manchmal, braucht es auch eine offene Nase.
Und der Friede Gottes, der größer ist, als wir es verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne bei Jesus Christus, unserem Herrn.
Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz
gehalten am 16. Januar 20254, dem Sonntag Septuagesimae,
in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz gehalten am 16. Februar 2025.pdf
Thema: Leben mit dem rechten Maß
Lesung: Matthäus 9, 9-13
Lieder: 416, 1-4 Er weckt mich alle Morgen
301, 1-4 Nun freut euch
292, 1-3 Erneure mich
Liedblatt: Jesus dein Licht (Taizé)
471, 1-3 Wenn wir jetzt weitergehen
Predigt: Prediger (Kohelet) 7, 15-18
Beides habe ich beobachtet in meinem Leben,
das rasch vorüberzieht:
Da ist ein gerechter Mensch.
Der kommt ums Leben, obwohl er die Gebote befolgte.
Und da ist ein ungerechter Mensch.
Der hat ein langes Leben, obwohl er Böses tat.
Darum rate ich dir:
Sei nicht übertrieben gerecht
und bemühe dich nicht, überaus klug zu sein!
Warum willst du dich selbst zerstören?
Handle aber auch nicht allzu gottlos,
und tu nicht so, als wärst du dumm!
Warum willst du vor deiner Zeit sterben?
Man sagt: »Gut ist es, wenn du das eine anpackst
und auch von dem anderen deine Hand nicht lässt.«
Denn wer Gott ernst nimmt, dem gelingt beides.
Am Anfang des Gottesdienstes sagte ich, dass ich mich freue, dass wir zusammen sind.
Jetzt muss ich Ihnen ein Geheimnis verraten. Im Laufe der Vorbereitungen für diesen Gottesdienst ging mir das nicht immer so. Als ich den Predigtext die ersten Male gelesen habe, dachte ich: Hoffentlich kommt niemand an diesem Sonntag. Hoffentlich sind 50 Grad Minus und drei Meter Neuschnee, dass die Kirche geschlossen bleiben muss oder so ähnlich. Und warum? Weil dort im Predigttext Dinge stehen, die nicht unbedingt meinem Welt- und Bibel- und Glaubensbild entsprechen.
Der erste Vers ist ja ganz okay. Das ist auch unsere Beobachtung. Die Bösewichte dieser Welt haben es oftmals gut. Aber diejenigen, die sich Mühe geben, ordentlich zu leben, die so fast eine Art Heilige sind, die haben zu kämpfen und zu leiden.
Was macht man aber mit den anderen Aussagen des Textes? Die klingen so, als ob man sich in Glaubensdingen mit dem Mittelmaß zufrieden geben soll.
Was ich getan habe – ich habe verschiedene Sachen über diesen Text gelesen.
Ich habe zum Beispiel eine Andacht zu diesem Text gehört, die mir viel Aufschluss gegeben hat. Ich habe andere Bibelübersetzungen gelesen und dann habe ich festgestellt: vielleicht ist dieser Text doch nicht so schlimm, wie ich das zuerst wahrgenommen habe. Da steht nicht: sei ein mittelmäßiger Kirchenchrist, sei nicht so extrem, nimm den Glauben nicht so ernst. Denn sonst wirst du vielleicht ein Sektierer, Sektant.
Ich habe auch an ein Lied vom Liedermacher Manfred Siebald gedacht.
Da geht es ja auch um dieses Thema. Das Lied ist wie ein Gespräch zwischen zwei Menschen, von denen der eine den anderen warnt, nicht so extrem zu sein.
Ich zitiere kurz aus diesem Lied.
„Das ist ja alles schön und gut,
man hat ja nichts dagegen,
wenn einer Gutes tut.
Und Glaube ist ja auch nicht schlecht,
schon wegen der Moral, dass alles seine Ordnung hat.
Doch bleibt nur hübsch normal.
Denn allzu viel ist ungesund, so sagte er sehr weise.
Und dann gab er mir noch manchen guten Rat.
Und ich stand da und sagte was und wusste nur das eine,
dass mein Herr für mich nicht weniger als alles tat.“
Widerspricht der Prediger nicht dem, was Jesus gelehrt und auch gelebt hat?
Zum Beispiel: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen. Von ganzem Herzen, das hat Jesus gesagt. Nicht am Sonntag von 10 bis 11, wenn du rechtzeitig ausgeschlafen hast, sondern von ganzem Herzen, das heißt 7/24, wie es an den rund um die Uhr geöffneten Geschäften steht.
Dann sagt Jesus: Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich. Und folge mir nach. Das klingt nicht gerade nach Kompromissen.
Die meisten von Ihnen kennen wahrscheinlich das Gleichnis vom reichen Jüngling. Wo Jesus zu einem frommen jungen Mann sagt: Es fehlt dir noch was zu deinem frommen Leben. Verkaufe alles, was du hast. Alles! Nicht ein paar Sachen, die du nicht mehr brauchst. Alles, was du hast und gib das Geld den Armen.
Und dann sagt er jemandem, der erst noch seinen Vater begraben muss, bevor er mit Jesus geht: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach. Das sagt Jesus, als wäre das Begraben nichts. Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber folge mir. Ist das nicht zu extrem?
Es fiel mir auch ein Spruch ein, der so nicht in der Bibel steht. „Sei ganz sein oder lass es ganz sein.“
Lauter Widersprüche und Gegensätze in der Bibel und im Glauben. Wie soll ein armer Pfarrer predigen, wenn es solche Gegensätzen gibt? Er will ja die Gemeinde nicht für dumm verkaufen. Soll er sagen: Nimm es nicht so ernst, werde nicht extrem.
Aber was Jesus sagt, klingt doch ziemlich extrem!
Ein kleiner Trost ist, dass das Buch Prediger im Alten Testament nicht das Evangelium ist.
Das Evangelium hat für uns, wenigstens als evangelische Christen, einen anderen, höheren Stellenwert.
Wenn wir nachdenken, dann entdecken wir wahrscheinlich, dass wir kennen, was der Prediger beschreibt: Vor Gerechtigkeit strotzende Gläubige. Egal aus welcher Kirche und aus welcher Religion. Vor Gerechtigkeit strotzend. „Pharisäer“ nennen wir manchmal solche Leute, nach diesen oft so selbstgerechten Leuten in der Bibel. Fariseism, dieses Wort gibt es auch im Rumänischen als Bezeichnung für Selbstgerechtigkeit.
Das sind Menschen, die so gläubig und gerecht sind, dass sie lieblos und ungnädig und abstoßend wirken. Sie leben eine Selbstgerechtigkeit und so eine religiöse Besserwisserei. Davor warnt Jesus.
Er warnt davor, lange Gebete zu plappern, um andere zu beeindrucken. Jesus warnt davor, mehr Wert auf Formen, Traditionen und religiöse Übungen zu legen, als auf ein demütiges, liebendes, vergebendes und ermutigendes Herz. Jesus ermutigt uns, mehr den Balken im eigenen Auge zu sehen, als den Splitter im Auge des Nächsten, dessen, der uns nahe ist. Und nun?
Eine kurze Einfügung. Merken Sie, wie gefährlich es ist, über dieses Thema zu sprechen? Wie schnell wird man selbst selbstgerecht und zeigt mit dem Finger auf andere. Ich habe ein paar Beispiele aufgezählt, aber mit diesen Beispielen habe ich schon auf andere gezeigt. Schau die anderen, wie selbstgerecht sie sind. Wie dicht liegt das beieinander, etwas zu benennen und mit dem Finger auf andere zu zeigen. Statt demütig zu sein zu beten, wie es Jesus als schlecht brandmarkt: „Lieber Gott, hab Dank, dass ich viel besser bin als die anderen“. Es liegt sehr dicht beieinander und wir müssen uns immer wieder prüfen, wie es in unserem Herzen aussieht. Damit wir nicht im frommen Gewand irgendwelche Hässlichkeiten über den Nächsten sagen. Was der Prediger in diesem Abschnitt sagen möchte, ist folgendes: Sei nicht übergerecht. Hypergerecht, könnte man sagen. Das wird dich nicht retten.
Aber wie ist es mit diesem Satz „Sei nicht allzu gottlos.“? Dieses allzu stört mich. Es ist aber ganz bestimmt keine Aufforderung, gottlos zu sein. Ich würde es mit meinen Worten so übersetzen: Verzweifle nicht wegen deiner Fehler und Schwächen. Sei gnädig mit dir selbst, wenn du merkst, du bist nicht so gerecht, wie du es sein möchtest. Denn Gott ist ja gnädig mit dir. Verwende nicht deine ganze Kraft, gegen das Böse zu kämpfen. Weil dann so wenig Kraft übrig bleibt, das Gute zu tun. Mir klingt das einleuchtend. Ich hoffe, Ihnen auch ein bisschen. Wenn nicht, empfehle ich den Kirchenkaffee nachher. Dort kann man noch darüber reden. Dass es geschneit hat, wissen wir. Darum müssen wir nicht nur über das Wetter reden. Wir können auch miteinander weiter überlegen: Wie siehst du es mit der Gerechtigkeit? Oder wir können in den Bibelstunden sprechen, die jetzt angeboten werden. Am kommenden Dienstag ist sie zum ersten Mal in rumänischer Sprache.
Das Thema dieses Abschnittes aus der Bibel und der Predigt könnte heißen: Leben im rechten Maß. Das wollen wir, glaube ich, alle. Aber wie? Die Bibel ist schwer zu verstehen. Da sind Dinge, die man irgendwie abwägen muss. Oder hinterfragen muss und durchschauen muss. Aber die Kirchen sind oft so unklar in ihren Aussagen. Die helfen oftmals auch nicht in den Glaubensfragen weiter. Und wenn wir in der Gesellschaft schauen, dann sind wir, glaube ich, erst recht verloren.
Aber Jesus hat Hilfe zugesagt und für Hilfe gesorgt. Als er von seinen Jüngern wegging, hat er sich von ihnen verabschiedet und gesagt: Ich werde jetzt zu meinem Vater gehen. Aber ihr werdet nicht allein sein. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück. Ich gehe und der Heilige Geist kommt. Der Heilige Geist, das ist der Lehrer. Der wird euch sagen, lehren, wie ihr mit den verschiedenen Problemen umgehen sollt. Zum Beispiel mit dem Extrem- oder Nicht-so-Extrem-Sein. Mit dem Gerecht-Sein und mit dem Sünder-Sein. Den Heiligen Geist sollt ihr bitten. Zum Beispiel eben auch, um das richtige Maß für euer Leben und für euren Glauben zu finden. In Klammern sage ich: Wir sollen dabei bitte nicht den Verstand vergessen. Der Verstand ist eine große, wichtige Gabe Gottes. Und manchmal ergänzen sich der Heilige Geist und der Verstand in wunderbarer Weise. Sie ersetzen sich meistens nicht. Eher ersetzt der Heilige Geist den Verstand. Und dann sollen wir nicht verzweifelt sein, wenn der Heilige Geist anderen ein anderes „richtiges Maß“ zeigt als uns persönlich. So ist es. Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch glaubt ein Stückchen anders. Jeder Mensch hat andere Möglichkeiten. Und was für den einen schon ein bisschen zu extrem ist, auch in unserer Gemeinde, ist für den anderen schon fast zu ungläubig. Und vielleicht fragen wir alle miteinander immer wieder den Heiligen Geist: Wie soll ich persönlich das rechte Maß finden und leben?
Zum Schluss noch drei kurze Impulse.
Martin Luther und Philipp Melanchthon waren Freunde. Sie haben gemeinsam für die Reformation der Kirche gearbeitet. Aber Melanchthon war sich immer so unsicher, wie es mit der Gerechtigkeit und mit der Sünde ist. Martin Luther auch, aber er hat eine Antwort gefunden. Und einmal sagte er zum Melanchthon: „Sündige tapfer, aber Glaube noch kräftiger“.
Dann eine Sache, die mir sehr wichtig ist. Das „rechte Maß“ ist nicht das „Mittelmaß“! „Merge și așa“ darf auch in Glaubensdingen nicht unser Motto sein.
Jesus will unser ganzes Herz, unsere ganze Liebe und Kraft. Wenn wir ihm das geben, dann bleibt erst recht noch genügend Kraft und Liebe, anderen Gutes zu tun.
Ich habe vorhin einen Vers aus einem Lied von Manfred Siebald gelesen. Es ging um den Rat, dass „allzu viel“ ungesund sei.
Zum Schluss kommt er zum folgenden Fazit, dass es bei Gott nichts Halbes gibt. Sein Wort sagt, dass man ihn nur ganz oder gar nicht liebt.
Was der Prediger sagt, soll uns vor zerstörerischer Selbstgerechtigkeit warnen und uns helfen, wegen unserer Sünde und Ungerechtigkeit nicht zu verzweifeln.
Der Friede, der größer ist als wir es verstehen und begreifen, bewahre uns mit allem, was wir sind und haben in unserem Herrn Jesus Christus.
Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 9. Februar 2025, dem vierten Sonntag vor der Passionszeit, in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll gehalten am 9. Februar 2025.pdf
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus! AMEN.
Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Markusevangelium im 4. Kapitel:
Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Mk 4,35-41
Der Herr segne sein Wort an uns allen. AMEN.
Liebe Schwestern und Brüder!
[Pfrin. Christiane Schöll hebt ein Schild mit dem Schrift zu „Still!“ hoch.]
Ich habe diese Geschichte von der Sturmstillung schon sehr oft in der Kinderkirche und auch in Schulklassen erzählt. Es wird wohl eine der Geschichten sein, die ich mit am häufigsten erzählt habe und dabei hat immer solch ein Schild eine Rolle gespielt. Denn die Kinder und ich haben die Geschichte dann gemeinsam nachgespielt, ein paar waren die Jünger, aber wir hatten auch Kinder, die Wellen und Sturm gespielt habe – oft auch mit Rasseln und Trommeln und Ähnlichem. Sie haben an den Jüngern gerüttelt und wurden immer lauter. Bis das Kind, das Jesus gespielt hat, aufgestanden ist und dieses Schild hochgehalten hat – und mit einem Schlag war der Spuk vorbei. Es war wunderbar still. Das hat selbst in den chaotischsten Klassen immer funktioniert. Jesus schenkt Ruhe im Chaos. Das ist den Kindern dann auch immer eindrücklich in Erinnerung geblieben. Sie haben es beim Theaterspielen am eigenen Leib erfahren.
Ruhe im Sturm, das wünschen auch wir Erwachsenen uns. Aber mit so einem Schild ist es da leider nicht getan. Die Stürme, die uns bedrängen sind ja oft innerlich. Wir fühlen uns unruhig, weil es bei der Arbeit schwierig ist oder weil die Eltern nicht mehr gut allein zu recht kommen oder wir Angst haben, dass unsere Kinder falsche Entscheidungen treffen. Eine schlimme Diagnose kann uns beschäftigen oder Geldsorgen. Und manchmal wird es dann zu viel. Wir haben das Gefühl, dass die Wogen über uns zusammenbrechen. Was hilft Ihnen in so einem Sturm?
Ein Freundin meinte letzte Woche zu mir: Oft sei es ja so mit den Stürmen, man funktioniert dann weiter, aber nur in so einer Art Überlebensmodus. Und erst später merkt man dann, dass es eigentlich zu viel war. Funktionieren geht wahrscheinlich eine Weile, aber irgendwann sind dann alle Kräfte aufgebraucht. Was machen wir mit den Stürmen, bei denen wir das Gefühl haben, dass kein anderer Mensch uns helfen kann? Was passiert, wenn wir Jesus um Hilfe im Sturm bitten? Der Evangelist Markus setzt sich mit dieser Frage in unserem heutigen Predigttext auseinander. Sie ist nicht leicht für ihn zu beantworten, genauso wenig wie für uns.
Der Evangelist Markus hat in einer Zeit sein Evangelium geschrieben, die für die Bewohner der Gegenden um Jerusalem und die ersten christlichen Gemeinden sehr schwierig war. Markus hat den sogenannten „Jüdischen Krieg“ erlebt. Damals, etwa 70 nach Christus, haben Aufständische gegen die Römischen Besatzer gekämpft und es kam letztlich zu einer sehr schlimmen Niederlage der Aufständischen. Der Tempel wurde komplett zerstört und bis zum heutigen Tag nicht mehr aufgebaut. Die heutige Forschung geht davon aus, dass bei diesem Aufstand bis zu einem Drittel der Bevölkerung von Judäa, also von Jerusalem und Umgebung, gestorben ist. Viele wurden als Sklaven verkauft und viele sind ausgewandert. Auch die erste christliche Gemeinde, die sich in Jerusalem aufgehalten hat, zerstreut sich nach dem Sieg der Römer in verschiedene Richtungen. Eine riesige Katastrophe – vergleichbar mit einem Sturm, der über die Bevölkerung hinweg gefegt ist. Während dieses Aufstandes gab es auch Gefechte am See Genezareth. Dazu möchte ich Ihnen einen kurzen Abschnitt aus Wikipedia vorlesen:
„Tarichaea am See Genezareth wurde erobert, woraufhin die Zeloten und ihre Familien mit allen verfügbaren Booten auf den See flohen. Vespasian ließ daraufhin zahlreiche Flöße bauen, auf denen sich seine Soldaten an die Verfolgung machten. Die jüdischen Boote konnten nirgendwo landen, da die Römer das ganze Ufer besetzt hielten. Den Legionären auf ihren Flößen waren sie auch nicht gewachsen: „die kleinen, nach Piratenart leicht gebauten Kähne erwiesen sich als viel zu schwach.“ Niemand [laut der damaligen Berichte] sei dem folgenden Gemetzel schwimmend entkommen, am Seeufer hätten danach viele verwesende Leichen und Schiffstrümmer gelegen.“
Hat der Evangelist Markus diese Katastrophe im Kopf, wenn er von der Sturmstillung berichtet? Wir wissen es zwar nicht sicher. Aber man kann es sich vorstellen. Auch die junge christliche Gemeinde in Rom wird zu dieser Zeit das erste Mal schlimm verfolgt durch Kaiser Nero. Auch dieses Ereignis könnte für Markus eine große Rolle gespielt haben, wenn er über Stürme im Leben nachdenkt.
In der Erzählung der Sturmstillung finde ich sehr interessant, wie Markus sich mit der Anwesenheit von Jesus im Sturm auseinandersetzt. Jesus ist da, aber er schläft. Er lässt sich vom Sturm nicht stören. Die Jünger rütteln ihn wach und rufen: „Ist es dir egal, wenn wir hier umkommen?“ Kennen wir das nicht auch? Wir haben das Gefühl, dass der Sturm über uns zusammenbricht und wir fühlen uns dabei von Gott allein gelassen. Was haben wohl die Menschen damals in Judäa gedacht, als sie durch die Römer so viel Leid erfahren haben? Oder die christliche Gemeinde in Rom, die verfolgt wurde? Haben auch sie gebetet: „Ist es dir egal, was mit uns geschieht, Gott? Schläfst du?“
Jesus rettet dann die Jünger und rügt sie gleich darauf: „Warum hattet ihr solche Angst, habt ihr so wenig Vertrauen?“ Heißt das, Jesus hätte auch eingegriffen, wenn die Jünger ihn nicht wach gerüttelt hätten? Diese Frage beantwortet uns die Erzählung nicht. Aber mich würde sie sehr interessieren. Macht es einen Unterschied, wenn wir Jesus bedrängen? Rettet er uns eher, wenn wir ihn dazu auffordern? Oder ist er sowieso da und wird uns retten? Und auf der anderen Seite: Zeigen die Jünger nicht gerade darin ihren Glauben, dass sie Jesus wachrütteln? Sie rechnen damit, dass Jesus ihnen helfen kann. Aber sie glauben nicht, dass er dies tut, so lange er schläft.
Mit der Beschreibung, wie Jesus schläft und dann aufsteht weist Markus über dieses Erlebnis der Jünger mit dem Menschen Jesus von Nazareth hinaus. Die Worte, die der Evangelist für „schlafen“ und „aufstehen“ verwendet, weisen auf den Tod und die Auferstehung Jesu hin. Es geht in diesem Sturm und in diesem Boot nicht so sehr um die damaligen Jünger und Jesus von Nazareth, sondern Markus spannt den Bogen zu den Christen seiner Zeit und auch zu uns Christen heute und zu unserem Verhältnis zum auferstandenen Christus. So sind alle Evangelien geschrieben: sie erzählen vom Leben Jesu, aber immer mit der Deutung im Blick, dass Jesus für uns alle gestorben und auferstanden ist. Von Ostern her blickt Markus auf das Leben Jesu zurück und überlegt, was von diesem Leben für uns Christen nach Ostern wichtig ist.
Wie begegnet der auferstandene Christus seiner Gemeinde in den Stürmen des Lebens? Markus könnte konkreter fragen: Wie begegnet der Auferstandene den Menschen in einer Katastrophe wie dem jüdischen Krieg oder der Christenverfolgung? Markus macht es sich nicht leicht mit dieser Frage. Er weiß, dass man die Kraft Jesu nicht immer spürt. Immer wieder haben wir den Eindruck, dass Jesus eben nicht wahrnimmt, wie es uns geht, dass er nicht eingreift, wenn wir in Schwierigkeiten stecken.
Immer wieder fühlen wir uns von Gott allein gelassen und erleben Unsicherheit und Zweifel in den Stürmen unseres Lebens. Und auch Markus selbst geht es wohl so. Aber ein paar Dinge sind für Markus ganz sicher und die betont er in seinem Bericht von der Sturmstillung:
Erstens, Jesus ist im Sturm die ganze Zeit dabei. Er ist auch betroffen, auch wenn er schläft. Auch in der Leidensgeschichte Jesu ist das für Markus ein ganz wichtiges Thema. Jesus ist ganz Mensch. Er erfährt Leid am eigenen Leib. Er erleidet einen schlimmen Tod und er fühlt sich am Kreuz sogar von Gott verlassen. Markus zeigt damit den Menschen seiner Zeit und auch uns: Jesus leidet mit uns. Er fühlt mit uns.
Als Zweites ist Markus wichtig: Jesus hat die Macht, den Sturm zu beenden. Er ist Gottes Sohn. Wind und Wellen gehorchen ihm. Er kann auch andere Stürme beenden, im Leben der ersten Christen und auch in unserem Leben. Allerdings bleibt dabei offen, warum er manchmal nicht eingreift oder erst sehr spät. Diese Frage, warum Jesus so lange schläft, während seine Jünger Angst haben, erklärt Markus nicht. Er ist ehrlich. Auch wir machen diese Erfahrung, dass Jesus nicht eingreift und die Spannung kann nicht einfach aufgehoben werden. Aber im Hintergrund steht der Glaube, dass Jesus auferstanden ist. Am Ende siegt das Leben über den Tod.
Und dann bleibt für Markus und für uns noch die Frage: Wie geht es nach einem schlimmen Ereignis weiter? Wie geht es für die ersten Christen weiter nach den katastrophalen Erlebnissen des jüdischen Krieges oder der Verfolgung durch Kaiser Nero? Wie geht es für uns weiter, wenn die Wogen eines Lebenssturmes sich geglättet haben? Die Jünger reagieren überraschend nach der Stillung des Sturmes. Sie sind davon beeindruckt, was Jesus getan hat, aber gleichzeitig heißt es: „und sie fürchteten sich sehr“. Am Ende der Erzählung steht nicht Dankbarkeit, sondern Furcht. Das ganze Markusevangelium endet in dieser Furcht. Die Frauen am Grab hören die gute Botschaft des Engels, dass Jesus auferstanden ist, aber sie laufen nicht fröhlich nach Hause, sondern es heißt dort: „Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“
Dieses Ende, das Markus für sein Evangelium wählt, ist mutig. Denn er ist ehrlich. Er glaubt daran, dass Jesus auferstanden ist, dass er bei uns ist, wenn wir schlimme Dinge erleben und er glaubt auch, dass Jesus die Macht hat, uns zu helfen. Aber er ist auch ehrlich gegenüber seinen eigenen Gefühlen. Er hat trotzdem Angst – auch wenn er an Jesus glaubt und auch wenn er schon Katastrophen in seinem Leben überstanden hat. Er – Markus – hat vielleicht ganz konkret Angst davor, vom auferstandenen Christus zu erzählen, weil er Verfolgung fürchtet. Markus lässt die Spannung in seinem ganzen Evangelium stehen, die auch wir kennen. Auf der einen Seite glauben wir an Jesus und auf der anderen Seite haben wir trotzdem weiterhin Angst.
[„Still“ – Pfrin. Christiane Schöll hält das Schild noch einmal hoch]
Was bedeutet das nun für die Stürme in unserem Leben?
Die Spannung zwischen Glaube und Angst, der wir ausgesetzt sind, wenn wir Schlimmes erleben, wird bleiben. Es wird wohl nicht passieren, dass wir beten und die Katastrophe hat ein Ende und es wird ein für alle Mal still bleiben und all unsere Zweifel sind überwunden. Aber vielleicht ist es das, was Markus uns zusagen will, wenn Jesus erst den Sturm stillt und dann seine Jünger rügt, ob sie denn keinen Glauben hätten. Wir müssen nicht standhaft und felsenfest überzeugt sein. Jesus bleibt bei uns in all unseren Zweifeln. Und ganz am Ende siegt immer das Leben über den Tod, auch wenn wir das in unserer Situation nicht glauben können.
AMEN.
Predigt von Stadtpfarrer Christian Plajer
gehalten am 2. Februar 2025, dem letzten Sonntag nach Epiphanias, in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: Predigt von Stadtpfarrer Christian Plajer gehalten am 2. Februar 2025.pdf
Lesung: Matthäus 17,1-9.
Predigt: 2.Mose 3,1-8a(8b.9)10(11-12)13-14(15).
Thema: Der Gott Israels zeigt sich unnahbar und geht mit, Neues schaffend.
Lieder (nach dem Gesangbuch der EKD): 450,1-3; 404,1-4+8; 395,1-3; 73,1-6.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
neulich gab es in einer renommierten deutschsprachigen Zeitschrift einen Artikel, in welchem ein herausragender Physiker und Philosoph, Alexander Blum, über die Welt und damit unweigerlich auch über Gott ausgefragt worden ist. Als Schlagzeile galt die Aussage dieses Wissenschaftlers, der behauptet: „Es wäre vermessen, Gott mit absoluter Sicherheit auszuschließen“ . Damit meinte er Grenzen im Bereich der Physik, von denen man sich heute nicht vorstellen kann, dass sie einmal überschritten werden könnten. Z. B. bei der Forschung über den Urspung des Kosmos: Irgendwann stößt man mit physikalischen und denkerischen Methoden an Grenzen, die – heute – unüberwindbar scheinen.
Und so stellt sich die Frage: Was ist dahinter? Vielleicht Gott? Oder wird das Denken und Erforschen doch immer wieder weiter gehen, auch wenn sich die Wissenschaftler heute nicht vorstellen können, wie (z. B. mit Hilfe von künstlicher Intelligenz, die bis vor kurzem Undenkbares möglich macht)?
Wenn man aus solchen Überlegungen Hinweise auf die Existenz Gottes herauslesen will, muss man dazu gleich sagen: Ja, mag sein, dass man diese Grenzen der Erkenntnis mit der Existenz eines Schöpfergottes zusammendenken kann. Und die Bibel spricht selbst ja auch von Gott als dem Schöpfer der Welt.
Gott als Schöpfer der Welt ist allerdings nur ein Aspekt der Zeugnisse über ihn. Die Bibel bezeugt uns darüber hinaus – und das ist viel wichtiger – einen Gott, der sich zu uns in Beziehung setzt, der relevant wird für die Entfaltung unseres Lebens hier und heute in der Welt, in der wir leben, unter den Umständen, die unser Leben bestimmen und uns nicht selten Schmerz und Leiden verursachen; ein Gott, der relevant wird für uns persönlich als einer, der mit uns geht, weil er schon vor uns da war und auch in Zukunft da sein wird. Denn er hat uns zugesagt: Ich will für euch da sein!
Dies, liebe Gemeinde, ist die zentrale Aussage des heutigen Predigtwortes. Gott sagt: Ich will für euch da sein (und das gilt jenseits aller physikalischen, philosophischen u. a. Erkenntnismöglichkeiten).
Diese Zusage Gottes, „Ich werde für euch da sein“, gilt in erster Reihe für das Volk Israel und sie gilt uns heute nur insofern, als sie im Zusammenhang der Geschichte des Volkes Israel belassen wird. Also: Wir sollten die Zeugnisse Gottes in der Bibel nicht als unabhängige Gottesoffenbarungen verstehen, so als ob es einen „direkten Draht“ zwischen Gott und Mensch gäbe. Sondern: Es gilt jeweils nachzuvollziehen, dass und wie sich Gott in der Geschichte offenbart hat, und zwar konkret in der Geschichte des Volkes Israel. Und es gilt zu vernehmen, dass er das auch in Zukunft fortführen wird (nun nicht mehr allein auf die Geschichte dieses einen Volkes bezogen, sondern in universaler Perspektive).
Die Vergangenheit dieses bezeugten und geglaubten Wirkens Gottes ist unlösbar verbunden mit der Geschichte von Verheißung und Erfüllung für das Volk Israel – wobei die Kontinuität von Verheißung und Erfüllung nie abbricht. (Jede Erfüllung von Verheißung erschließt eine neue Perspektive von Verheißung). Aber es gilt dann natürlich auch die 2.000 Jahre alte die Erkenntnis, dass Gottes Verheißung und Wirken sich nicht nur auf ein Volk (Israel) beschränkt, sondern alle Menschen mit einbezogen sind. Vereinfacht könnte man sagen: Gott hat in die Verheißungen, die ursprünglich für das Volk Israel ‚gedacht‘ waren, alle Menschen mit eingeschlossen.
Unser heutiges Predigtwort ist eines der wichtigsten Zeugnisse über diesen Gott. Es geht darin in entscheidender Weise darum, wie Gott zu verstehen ist: Gott, der sich aktiv in die Geschichte impliziert, der (in der Geschichte und mit der Geschichte) mitgeht, der – als jener, der sich unrspünglich Israel offenbart hat – im Laufe der Zeit auch neue, unbekannte Seiten seiner selbst offenbart, der sich selbst mit dem Lauf der Geschichte mit entwickelt – bzw. der sich mit dem Fortlauf der Geschichte neu und auf neue Weise zeigt und Neues wirkt. Ein Gott der Geschichte, der auf Zukunft hin „arbeitet“.
Hören wir nun den Predigttext und versuchen danach, einzelne Aussagen zu ergründen – das Zeugnis ist jedenfalls sehr komplex und sehr tiefgründig.
Lesung des Predigttextes in der Übersetzung der BasisBibel:
Mose hütete die Herde seines Schwiegervaters Jitro.
Jitro war der Priester von Midian.
Einmal trieb Mose die Herde über die Steppe hinaus.
So kam er an den Berg Gottes, den Horeb.
Da erschien ihm ein Engel des Herrn:
Eine Flamme schlug aus einem Dornbusch.
Mose bemerkte,
dass der Dornbusch in Flammen stand
und trotzdem nicht verbrannte.
Mose sagte sich: »Ich will hingehen
und mir diese auffallende Erscheinung ansehen.
Warum verbrennt der Dornbusch nicht?«
Der Herr sah, dass Mose vom Weg abbog
und sich die Erscheinung ansehen wollte.
Da rief ihn Gott mitten aus dem Dornbusch:
»Mose, Mose!«
Er antwortete: »Hier bin ich!«
Gott sprach:
»Komm nicht näher! Zieh deine Schuhe aus!
Der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land.«
Weiter sprach er: »Ich bin der Gott deiner Väter,
der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.«
Da verhüllte Mose sein Gesicht.
Er hatte Angst davor, Gott zu sehen.
Der Herr sprach:
»Ich habe die Not meines Volks in Ägypten gesehen.
Die Klage über ihre Unterdrücker habe ich gehört.
Ich weiß, was sie erdulden müssen.
Deshalb bin ich herabgekommen,
um sie aus der Gewalt der Ägypter zu befreien.
Ich will mein Volk aus diesem Land führen.
Es soll in ein gutes und weites Land kommen,
in dem Milch und Honig fließen.
[Es ist das Land der Kanaaniter und Hetiter,
der Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
Darum sei gewiss:
Die Klage der Israeliten ist zu mir gedrungen.
Ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie quälen.]
Nun geh! Ich sende dich zum Pharao.
Du sollst mein Volk, die Israeliten,
aus Ägypten führen.«
[Mose sagte zu Gott:
»Wer bin ich denn, dass ich einfach zum Pharao gehe?
Und wie soll ich die Israeliten aus Ägypten führen?«
Gott antwortete: »Ich werde bei dir sein!
Daran wirst du sehen, dass ich dich gesandt habe:
Wenn du das Volk aus Ägypten geführt hast,
sollt ihr mir an diesem Berg dienen.«]
Mose antwortete Gott:
»Ich werde zu den Israeliten gehen und ihnen sagen:
›Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch.‹
Was ist, wenn sie mich fragen: ›Wie heißt er?‹
Was soll ich ihnen dann sagen?«
Da sprach Gott zu Mose:
»›Ich werde sein, der ich sein werde.‹
Das sollst du den Israeliten sagen:
Der ›Ich-werde-sein‹ hat mich zu euch geschickt.«
[Weiter sprach Gott zu Mose:
»Das sollst du den Israeliten sagen:
›Der Herr hat mich zu euch geschickt,
der Gott eurer Väter Abraham, Isaak und Jakob.‹
So heiße ich schon immer, und so will ich
bei all ihren Nachkommen genannt werden.]
Interessanterweise beginnt der Text nicht mit Ägypten, wo das Volk Israel gerade unerträglich geschunden wird, er beginnt auch nicht mit dem in der Zukunft liegenden ‚gelobten Land‘, in dem ‚Milch und Honig fließen‘. Nein, es beginnt mit Midian. Dies ist ein fremdes Land, in dem Mose eine neue Heimat gefunden hat, nachdem er gewissermaßen als Prinz des Pharao in Ägypten aufgewachsen war. Mose scheint da auch recht gut integriert gewesen zu sein in seiner neuen Heimat Midian: Hatte er sich doch in die Familie des Priesters Jitro eingeheiratet – und man kann annehmen, dass er da ein gutes Leben nur führen konnte, wenn er den fremden Götterkult Midians zumindest toleriert, wenn nicht mitgetragen hat. Oder, wenn nicht, mag er sich in religiöser Beziehung zumindest eher still verhalten haben.
Womit beschäftigt sich Mose? Er hütet die Schafe seines Schwiegervaters. Das fällt auf, weil es ursprünglich die Aufgabe der Töchter des Jitro war. Nun ist Mose dran. Warum? Erinnern wir uns: Abraham zog als Kleinviehhirte aus seiner Urheimat aus. Joseph, nachdem er der – unter dem Pharao – der zweitmächtigste Mann in Ägypten geworden war, rief seine Brüder, seine Familie, nach Ägypten und richtete es für sie so ein, dass sie dort… ihre Tiere weiden konnten – eine in Ägypten nicht übliche Erwerbstätigkeit. Wenn nun Mose die Schafe seines Schwiegervaters hütet, dann wird damit darauf hingewiesen, dass er der ureigensten Beschäftigung des Volkes Israel nachgeht, obwohl er nun in Midian und in ‚neuen‘ Kontexten beheimatet ist. Dieses Schafe-Hüten verbindet ihn mit den Erzvätern Israels und ist wie ein Hinweis darauf, dass Mose eigentlich dort hin gehört, dass Gott – wie auch mit Abraham & Co. – durch Mose weiter ‚arbeitet‘ an der Geschichte dieses Volkes auf eine Zukunft hin, für die ‚Milch und Honig‘ in Aussicht gestellt werden.
In dieser Spannung, in der Mose zwischen Midian und Israel steht, geschieht etwas sehr Ungewöhnliches. Mose schert aus seinem Alltag aus, er tut etwas Unübliches. Mit den Schafen in der Wüste unterwegs, biegt er von dem bekannten Weg ab. „Einmal trieb Mose die Herde über die Steppe hinaus“ (3,1). Im Hebräischen wird dafür eine ungewöhnliche, einmalige grammatikalische Formulierung verwendet. Man kann auch sagen: Mose durchschreitet die Steppe (Luther: Wüste), er geht über sie hinaus. Und, siehe da, er entdeckt dabei den Gottesberg Horeb (der auch Sinai genannt wird).
Was fällt auf? Mose also durchquert die „Wüste“ und kommt an den Berg Gottes, wo sich ihm Gott – im brennenden Dornbusch – offenbart. Was geschah mit dem Volk Israel, nachdem Mose es aus Ägypten herausgeführt hatte? Es durchwandert die Wüste und kommt an den Berg Sinai, wo sich Gott – nicht dem Volk direkt, aber Mose (erneut) offenbart.
Damit haben wir ein entscheidendes Motiv: Man befindet sich in der Steppe, wo kein Ackerbau möglich ist, wo man mit karger Vegetation und lauter Entbehrungen umgehen muß, wo man bisweilen um sein Überleben bangt, wo es immer wieder Krisen gibt, man sich bisweilen am Abgrund seiner Existenz wähnt. Das Land in dem „Milch und Honig fließen“, wo man Ackerbau betreiben und ein gutes Leben führen kann, ist weit entfernt, ist als Verheißung in die Zukunft projiziert. Diese karge Gegend aber, voller Schwierigkeiten und Etbehrungen, wird zum Ort, an dem Gott sich offenbart, wird zum Ort der Gottesbegegnung.
Mose also biegt ab vom Weg. In seinem grauen Alltag hält er Ausschau nach etwas, das mehr bedeutet als einfach Schafe hüten. Da sieht er einen Dornbusch brennen. Nichts Ungewöhnliches. Trockenheit, große Hitze – es kam schon vor, dass sich ein Busch von selbst entzündete. Mose aber merkt, dass es sich da nicht um ein kurzes Aufflackern handelt, das den Busch im Nu in Asche verwandelt. Nein, das ist ein sehr ungewöhnliches Feuer: Der Dornbusch ist nicht Nahrung, sondern Träger des Feuers (und wir erinnern uns dabei an das Feuer auf dem Berg Sinai, in dem Gott später Mose als Führer des Volkes erscheint). Gewissermaßen Zeichen für die Gottesgegenwart. Mose biegt vom Weg ab (schon wieder?, V.4), er kommt aber nicht weit, denn Gott spricht ihn aus dem Dornbusch heraus an: „Mose! Mose!“. Mose wird persönlich angesprochen, er wird beim Namen genannt.
Warum aus dem Dornbusch? Hätte so etwas nicht z. B. wie eine Feuerzunge vom Himmel sein können, wie es vom Pfingstereignis, von der Ausgießung des Heiligen Geistes erwähnt wird? Natürlich ist der Dornbusch hier kein Zufall. Jedes Lebewesen, das da in einen solchen Dornbusch hineingeht, bei Verfolgung dort vielleicht Schutz suchen möchte, wird verletzt. Das Volk Israel, um das es Gott in dieser Geschichte geht, wird in Ägypten gerade geschunden, verletzt – so als ob tausend Stacheln täglich die Israeliten in der Sklaverei stechen würden. Da hinein, in diese verletztliche Situation, begibt sich Gott, in den Dornbusch. Und aus dieser verletzlichen Situation heraus spricht er Mose an, und indem er Mose anspricht, wird Gott aktiv.
Damit sind Dornbusch und Feuer weg vom Fenster, von da an kein Wörtlein mehr dazu, sie sind nicht mehr von Interesse. Denn es geht hier ja nicht um ein ‚irdisches‘ Wunder, das Gott tut, sondern es geht um die Beziehung, die Gott mit Mose eingeht, indem er ihn anspricht.
Das, liebe Gemeinde, ist entscheidend für uns unser Verständnis von Glauben, wie ihn die Bibel bezeugt: Glaube hat damit zu tun, dass ich mich von Gott angesprochen erfahre und dass ich mich in eine Beziehung zu ihm hineingeholt sehe. Auf diese Anrede durch Gott antwortet Mose: „Hier bin ich!“ – die Anrede wirkt, Mose ist bereit für Gott, er ist offen für etwas, das jenseits seiner alltäglichen Erfahrungen liegt. Ja, was da geschieht, bleibt unfassbar und wird dadurch ausgedrückt, dass die Stimme Gottes unmittelbar auf dieses „Hier bin ich!“ sagt: „Komm nicht näher!“ Gott bleibt dem Mose entzogen, er bleibt unfassbar. Und nur aus dieser Unfassbarkeit heraus spricht Gott Menschen an, sie gehört wesentlich dazu zu diesem Angesprochen-Werden durch Gott.
Ist das nicht sonderbar? Ein Gott, der sich zugleich zeigt und entzieht? Warum sprechen wir als Gläubige dann immer davon, dass Gott bei uns ist, dass er uns nicht verlässt, dass er uns führt und leitet und so weiter? Nein, wir können Gott nach wie vor nicht fassen, in keiner Weise. Was gibt es dann für Anhaltspunkte?
Gott sagt zu Mose: „Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Das bedeutet: Gott ist derjenige, der sich bereits in der Vergangenheit als wirksam erwiesen hat, und er verweist auf die Erinnerung dieses Wirkens in der Vergangenheit: Das Entscheidende dabei ist die Befreiung Israels aus Ägypten, um die es ja auch in der Erzählung vom brennenden Dornbusch geht. Befreit wurde das Volk nur, weil Gott Menschen wie Mose angesprochen, in ihnen Vertrauen erweckt hat gegenüber diesem unsichtbaren Gott. So kamen sie in Bewegung, wurden aktiv – wie Mose, der schließlich doch zum Pharao ging…
Ein letzter Gedanke an dieser Stelle: Weil Gott immer neu Menschen anspricht, obwohl man ihn nicht fassen kann, und weil das über Jahrtausende hinweg bezeugt wird, dürfen wir heute hoffen und vertrauen darauf, dass er das auch in Zukunft tun wird. In jeder neuen Situation, gerade auch in jeder neuen Wüsten-Situation, in der wir unser Dasein hinterfragt sehen, in jeder existenziell schwierigen Situation dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott mit uns geht, auch wenn wir ihn nicht sehen, nicht fassen können. Seien wir offen, seien wir Hörende wie Mose, aufhorchend bei einem Angesprochen-Werden, das uns in Bewegung bringt, uns vielleicht Wege führt, an die wir nie gedacht haben.
Wüstenwanderung und Gotteserfahrung liegen beieinander, wir bleiben immer unterwegs zwischen Verheißung und Erfüllung, und wir dürfen um der Erfahrung mit Gott willen, die von alters her bezeugt wird, zuversichtlich unsre Wege gehen. Gott wird auch weiterhin Menschen ansprechen und wirksam sein, auch wenn wir nicht wissen können, wie und wann das geschieht und was das konkret bewirken wird. Bei allem gilt die Botschaft Gottes, der sagt: Ich will für euch da sein. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Predigt von Pfarrer Joachim Lorenz
gehalten am 26. Januar 2025, dem 3. Sonntag nach Epiphanias in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: 26. Januar 2025 – 3 So. n. Epiphanias, Pfr. Joachim Lorenz .pdf
Lesung: Johannes 4, 5-14
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Wir hören Gottes Wort für die Predigt aus dem Johannesevangelium Kapitel 4 (Basis-Bibel):
Jesus kam nach Sychar, einem Ort in Samarien. In seiner Nähe liegt das Grundstück,
das Jakob einst seinem Sohn Josef vererbt hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen.
Jesus war müde von dem langen Weg und setzte sich an den Brunnen. Es war um die sechste Stunde. Da kam eine Samariterin, um Wasser zu schöpfen. Jesus bat sie: »Gib mir etwas zu trinken.« Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Da sagte die Samariterin zu ihm: »Du bist ein Jude, und ich bin eine Samariterin. Wie kannst du mich um etwas zu trinken bitten?« Denn die Juden vermeiden jeden Umgang mit Samaritern. Jesus antwortete: »Wenn du wüsstest, was für ein Geschenk Gott den Menschen macht und wer dich hier bittet: ›Gib mir etwas zu trinken‹! – dann würdest du ihn bitten, und er würde dir lebendiges Wasser geben!« Die Frau erwiderte: »Herr, du hast nichts, um Wasser zu schöpfen, und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn dieses lebendige Wasser? Bist du etwa mehr als unser Stammvater Jakob? Er hat uns diesen Brunnen hinterlassen. Er selbst hat daraus getrunken, ebenso seine Söhne und sein Vieh.« Darauf antwortete Jesus: »Wer von diesem Wasser hier trinkt, wird wieder Durst bekommen. Aber wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird nie wieder Durst haben. Denn das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden: Ihr Wasser fließt und fließt – bis ins ewige Leben.
Herr, wir danken dir für dein Wort.
Es gibt ja bekanntlich verschiedene Arten von Wasser: Borsec, Dorna usw. Alle Sorten gibt es als Apă plată und Apă minerală. Als Kind kannte ich allerdings im Grunde nur eine Sorte Wasser, nämlich schlechtes. Bei uns gab es Wasser nur abgekocht, weil das, was aus der Leitung kam, nicht gut zu trinken war. Einen Brunnen gab es nicht. So gab es Wasser nur abgekocht als Tee oder Malzkaffee für uns Kinder.
Im Predigttext geht es um Wasser aus der Zisterne, also aus diesem Jakobs-Brunnen, im Gegensatz zu Quellwasser, das auch lebendiges Wasser genannt wird. Jesus nutzt da ein Wortspiel, um etwas Wesentliches anzusprechen. Er spricht den Lebensdurst nach etwas in unserem Leben, was bleibt, an. Da hat diese Frau, mit der Jesus spricht, allerhand Erfahrungen und Defizite. Ich möchte ein wenig deutlich machen, was Lebenslust bedeuten kann mit einem Liedtext, den ich gefunden habe. Er stammt von Gerhard Schöne, einem Liedermacher unserer Tage. Er hat ein Kirchenlied umgedichtet, das auch in unserem Gesangbuch steht: „Wo soll ich fliehen hin“.
Wo soll ich fliehen hin
Wenn ich mir selbst nichts bin?
Fühl ich mich überflüssig
Des Lebens überdrüssig
Dann möcht ich mich verkriechen
Nichts sehen, hören, riechen
Meist geht mein Tageslauf
In Arbeit völlig auf
Ich lass mich schieben, lenken
Nur um nicht nachzudenken
Mein ganzes Interesse
Ist, dass ich mich vergesse
Ich hab Paris geseh’n
Venedig und Athen
Ich jage über Pisten
Mit anderen Touristen
Und wenn ich wiederkehre
Bleibt dennoch eine Leere
Wer weiß noch einen Trip?
Wer hat noch einen Tip?
Womit ich mich aufs Neue
Betäube und zerstreue
Bin nicht in mir zu Hause
Funkstille. Sendepause
Leer sind die Batterien
Ich hab es satt zu fliehn
Komm zu mir, Herr des Lebens
Dass ich nicht leb vergebens
Mach mich und andre Leichen
Zu Deinem Lebenszeichen
Dieser Text hat mich sehr angerührt. Nun ist aber vom Thema der Woche her nicht dieser Aspekt der Entscheidende. Es soll mehr um das Thema gehen, das uns auch im Wochenspruch begegnet. Da geht es ja darum, dass von überall Menschen kommen werden, um in Gottes ewigem Reich zu sein. Man kann es fromm ausdrücken: um Nachfolger Jesu zu sein oder um als Christ zu leben.
Von überall – das war damals nicht nur Jerusalem oder Bethlehem oder Kapernaum oder Nazareth. Das ist für unseren Horizont nicht nur von Draas bis nach Broos oder von Kronstadt über Bistritz nach Mühlbach. Was dieser Vers anspricht, heißt: von da, wo weiße und wo schwarze Menschen leben. Von da, wo unsere Sprache gesprochen wird und von da, wo die Sprache klingt, als würde man einen Emaille-Topf die Treppen herunter werfen. Von da, wo uns die Kultur vertraut ist und von da, wo uns die Kultur – um es vorsichtig zu sagen – etwas fremd ist.
Im Text spricht Jesus mit dieser samaritanischen Frau. Das war ein dreifacher Skandal: einmal, dass Jesus einfach so mit einer Frau spricht. Außerdem war es eine samaritische Frau. Und dann war es noch eine Frau, die kein ordentliches Leben führte. Indem Jesus dort an diesem Jakobsbrunnen mit ihr sprach, trat er in verschiedenste Fettnäpfchen. Und dann wagte er noch, diese Frau um einen Gefallen bitten.
Warum macht Jesus das? Warum tritt er in diese Fettnäpfchen? Sein Ziel ist: ihr Lebensdurst soll vom lebendigen Wasser gestillt werden. An dieser Stelle war Jesus egal, dass er mit so einer Frau nicht reden sollte. Er wusste, dass sie das lebendige Wasser brauchte. Jesus kommt nicht als Besserwisser daher. Er sitzt an einem Brunnen, er ruht sich aus. Denn er war durstig von dem langen Weg und von der Hitze. Der selbst Wunder getan hat, der viele Menschen satt gemacht hat in wunderbarer Weise, der sitzt dort und kann nicht mehr. Das heißt, Jesus kennt Durst und Müdigkeit wie wir.
Nun gibt es noch ein gewisses Rätsel im Text. Was ist denn nun das lebendige Wasser, das Jesus anbietet? Für die Freunde der modernen Lebenskunst muss ich gleich sagen: Cola ist es nicht. Wir hören immer wieder im Radio: pentru sănătatea Dumneavoastră beți cel puțin 2 litri de lichide pe zi. Keine Cola, kein Wein, kein Bier, kein Kaffee. Einfach nur Wasser oder Tee ohne Zucker. Das ist für die Gesundheit und gegen den Durst unseres Leibes.
Jesus geht es um die zweite Art von Wasser: Wasser gegen den Lebensdurst, Wasser für die Seele. Was kann das sein? Haben Sie eine Ahnung? Ich denke, die Antwort klingt ganz einfach und simpel: das Wort von Jesus. Vielleicht fällt uns ein, dass man lieber Taten sehen als Worte hören will. Für Politiker jeder Art, egal wo auf der Welt, gilt das unbedingt. Besser gesagt, für jeden von uns! Man soll ja nicht immer bloß auf die anderen zeigen. Für Jesus gibt es da aber keine Einschränkung, denn seine Worte sind zugleich Taten. Wo er etwas sagt, da geschieht etwas. So wie es am Anfang der Bibel schon von Gott heißt: Er sprach und es war da. Wenn ich etwas sage, dann meinen andere leider zu Recht: na, ob das wirklich so wird? Jesu Wort ist gleichzeitig Geschehen und Tat. Wo er spricht, da gerät etwas in unserem Leben in Bewegung. Da geschieht Veränderung. Seine Worte werden zu einer Quelle für das Leben.
Was sollen wir nun mitnehmen?
Das erste: Zapfen wir die richtige Quelle an, wenn es um unseren Lebensdurst geht. Die Fans vom Oktoberfest wissen „a-zapft is“ (oder so ähnlich, ich kann nicht bayrisch), also: es ist angezapft – damit ist das Bierfass gemeint. Das erste Bierfass von sehr vielen, und dann läuft das Bier literweise und die Menschen, die das Trinken, laufen nicht mehr. Sie kriechen herum. Vielleicht sind sie auf der Suche nach einer „lebendigen Quelle“?
Suchen wir uns die richtige Quelle! Zapfen wir sie an, damit unser Lebensdurst wirklich gestillt wird.
Und beim Zweiten geht es nicht nur um uns. In einem Lied des Liedermachers Manfred Siebald heißt es: „Wer das Wasser in der Wüste kennt, der ist schuld daran, wenn Sterbende es übersehn.“
Wenn wir wissen, dass bei Jesus unser Lebensdurst gestillt werden kann, dann machen wir uns schuldig, wenn wir es anderen verschweigen. Nur weil der andere nicht unsere Sprache spricht. Nur weil er nicht zu unserer Kultur gehört. Da entdecke ich mich am meisten. Jesus Christus hat sogar mit einer Frau gesprochen, die ihm nach seiner Kultur egal sein sollte. Andere seiner Zeitgenossen haben da die Nase gerümpft und gesagt: Na schaut, dieser Jesus! Mit dem kann man nichts anfangen. Der redet mit so einer! Jesus hat mit ihr geredet, damit sie die Quelle findet, die ihr ewige Gemeinschaft mit Gott ermöglicht.
Das ist der Plan: Gottes Wort soll in alle Winkel unserer Stadt und in alle Winkel unserer Welt kommen. Möglichst viele sollen an seinem Reich teilhaben und ihren Lebensdurst bei Jesus, der Quelle, stillen.
Und der Friede Gottes, der größer ist als wir es verstehen und begreifen, bewahre uns, unsere Herzen und Sinne, alles was wir sind und haben, bei ihm – bei unserem Herrn Jesus Christus.
Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 19. Januar 2025, dem 2. Sonntag nach Epiphanias, in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
Download: 19. Januar 2025 – 2. So. n. Epiphanias, Pfrin. Christiane Schöll .pdf
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. AMEN.
Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Johannesevangelium im 2. Kapitel:
Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: „Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.“ Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.
Liebe Schwestern und Brüder,
was für eine erstaunliche Erzählung. Nur der Evangelist Johannes hat sie aufgeschrieben. Bei ihm ist es das erste Zeichen, das Jesus tut, damit die Menschen seine Herrlichkeit sehen. Das erste von sieben Wundern, von denen wir bei Johannes hören. Danach heilt Jesus noch Kranke und läuft übers Wasser, vermehrt Brot und schließlich erweckt er Lazarus von den Toten. Aber was ist das für ein seltsames Wunder, das Jesus hier zum Anfang seines öffentlichen Auftretens tut? Es ist kein sehr notwendiges Wunder – niemand stirbt, wenn es keinen Wein mehr gibt. Niemand wird hier von einer schlimmen Krankheit gesund. Das Fest war schon einige Zeit im Gange und dann ging der Wein aus. Es ist auch kein sehr auffälliges Wunder. Die allermeisten Anwesenden bekommen gar nicht mit, wer den neuen Wein herbei geschafft hat.
Nur einige Diener wissen davon und die Jünger sind beeindruckt. Braut und Bräutigam treten in der Erzählung fast gar nicht in Erscheinung, aber auch ohne mehr Wein ist ihre Ehe gültig. Jesus bewahrt die Brautleute und ihre Familien allerdings vor großem Gespött. Diese Geschichte hätte noch lange die Runde gemacht, dass das die beiden sind, bei deren Hochzeit der Wein ausgegangen ist. Er bewahrt die Familien vor einer Peinlichkeit. Aber darum kann es Jesus doch nicht gehen?!
Nein, ich denke nicht. Ich möchte mich nun von einer ganz anderen Seite der Geschichte noch einmal nähern und erst am Ende auf diese Frage zurückkommen. Warum so ein seltsames Wunder? Warum wandelt Jesus Unmengen von Wasser in Wein um?
Dazu möchte ich Ihnen von einer Frau erzählen, auf die ich erst vor Kurzem gestoßen bin und die ein sehr interessantes Leben geführt hat. Sie war Französin und hieß Madeleine Delbrel. Sie hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelebt. Sie war eine sehr gebildete Frau hat schon im Alten von sechzehn Jahren Vorlesungen an der besten Universität von Paris gehört. Damals war sie ganz atheistisch eingestellt. Doch dann kam sie durch christliche Freunde mit dem christlichen Glauben in Kontakt und hatte schließlich ein Bekehrungserlebnis. Es muss sehr beeindruckend gewesen sein und sie hat überlegt, in ein Kloster einzutreten. Doch dann las ich über sie:
„Was sie in eine andere Richtung bewegte, war die Begegnung mit Jesus Christus in den Evangelien. Dort hat sie entdeckt, dass Jesus mitten in der Welt geblieben ist, mitten unter den Menschen, dass er das Leben der Menschen geteilt hat, die beiden Pole von Gottesliebe und Nächstenliebe zusammen halten konnte und auch seine Jünger auf diesen Weg geschickt hat. Das hat sie sehr bewegt und beeindruckt; und sie hat für sich erkannt, dass ihr Weg in diese Richtung zu gehen hatte. Sie wollte Jesus Christus mitten in der Welt nachfolgen, unter den Menschen und zugleich ganz bei Gott.“
Madeleine Delbrel ist in eine Arbeitervorstadt von Paris gezogen und hat dort unter den Menschen gelebt. Sie ist schockiert über die Lebensbedingungen dort und engagiert sich als Sozialarbeiterin für die Benachteiligten. Dabei arbeitet sie auch mit den Kommunisten zusammen und schließt enge Freundschaften.
Sie möchte auch von ihrem Glauben weitergeben und ist immer wieder enttäuscht davon, wie wenig Interesse an Fragen über Gott bei ihren Mitmenschen besteht. Aber sie bleibt dort und lebt mit den Menschen und vertraut darauf, dass Gott ihnen begegnen wird. Sie schreibt darüber: „Nicht wir haben Menschen zu bekehren. Das ist Gottes Sache, aber wir können uns schenken mit Gott in uns.“
Was hat diese Frau und ihre Geschichte nun mit der Hochzeit zu Kana zu tun? Mir ist vor allem wichtig, dass sie erkannt hat, dass Jesus in der Welt gelebt hat unter den Menschen. Er hat sich nicht zurückgezogen und irgendwo in der Einöde gebetet und hat darauf gewartet, dass die Menschen mit ihren Fragen und Nöten zu ihm kommen. Jesus ist zu den Menschen gegangen.
Er hat mit ihnen geweint, wenn sie traurig waren und er hat auch mit ihnen gefeiert, wenn es einen Anlass gab. So wie bei der Hochzeit zu Kana. In allem, was er getan hat, hat er die Wirklichkeit der Menschen mit der Wirklichkeit Gottes zusammengebracht durch sein Leben. Und genau das passiert für mich in der Hochzeit zu Kana. Jesus ist dort und feiert mit den anderen. Er trinkt Wein mit den anderen Gästen. Und als es ein Problem gibt, hilft Jesus den Brautleuten. Für Madeleine Delbrel ist es sehr wichtig, dass wir Gott in unserer Welt begegnen können. Sie schreibt darüber:
„Geht hinaus in euren Tag ohne vorgefasste Ideen, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott, ohne Bescheidwissen über ihn, ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek – geht so auf die Begegnung mit ihm zu. Brecht auf ohne Landkarte – und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel. Versucht nicht, ihn nach Originalrezepten zu finden, sondern lasst euch von ihm finden in der Armut eines banalen Lebens. Im Glauben haben wir Gott gefunden; wir können ihn weitergeben, wenn wir uns selbst geben, und zwar hier in unserer Stadt. Es geht also nicht darum, dass wir uns irgendwohin davon machen, das Herz beschwert von der Not der anderen, wir müssen vielmehr bei ihnen bleiben, mit Gott zwischen ihnen und uns.“
Die Erzählung der Hochzeit zu Kana hat mit unserem menschlichen Leben hier und heute zu tun und gleichzeitig weist sie über dieses Leben hinaus. Ein Hochzeitsfest ist ja keine alltägliche Sache und auch der viele und sehr gute Wein ist außergewöhnlich, eben ein Wunder.
Der Wein ist ein Zeichen für das Leben, das wir einmal in der Herrlichkeit Gottes leben werden. Der Wein ist ein Zeichen für die Freude und dafür, dass bei Gott unsere Freude vollkommen sein wird. Mir gefällt es, dass Jesus bei der Hochzeit zu Kana viel mehr gibt, als das, was unbedingt nötig ist. Ein maßloses Wunder, weil Gott es auch maßlos gut mit uns meint. Jesus verbindet unsere Wirklichkeit mit Gottes Herrlichkeit, indem er Wasser in sehr viel und sehr guten Wein verwandelt. Die Hochzeitsgäste werden von Gottes Güte beschenkt und das Wunder an der Hochzeit von Kana wird so zum Vorgeschmack auf das ewige Fest bei Gott.
Ist ein Fest auch ein Bild für unser jetziges Leben, in das schon etwas von Gottes Herrlichkeit strahlt? Madeleine Delbrel hat mich auf dieses Bild gebracht. Sie schreibt:
„Lehre uns jeden Tag die Umstände unseres Menschseins anzuziehen wie ein Ballkleid […] Gib, dass wir unser Dasein leben nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist, nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist, nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns den Kopf zerbrechen, sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir immer wieder begegnet, wie einen Ball, wie einen Tanz, in den Armen deiner Gnade zu der Musik allumfassender Liebe.“
Ein Fest oder ein Tanz als Bild für unser gesamtes Leben. Ist diese Idee zu einseitig? Verliert Madeleine Delbrel dabei die schwierigen Zeiten aus dem Blick und nimmt das Leben zu leicht? Ich denke nicht. Denn sie kannte schwere Zeiten. Sie hat ihren kranken Vater gepflegt, hat selbst eine schlimme emotionale Krise erlebt und hat auch als Sozialarbeiterin viel Leid gesehen und für bessere Bedingungen gekämpft. Sie war keine Träumerin mit dem Kopf in den Wolken.
Eine Hochzeit ist ja auch ein Anlass, der die schlechten Zeiten des Lebens bewusst nicht ausschließt. Wir bleiben zusammen in guten wie in schlechten Zeiten, das versprechen wir uns. Und warum feiert man nach dem Standesamt und der Kirche noch ein Freudenfest? Das hat mehrere Gründe: Wir freuen uns an der Liebe und allem Guten, das wir bis jetzt geschenkt bekommen haben. Wir wollen unsere Freude aneinander mit unseren Freunden und Verwandten teilen. Die Erinnerung an dieses Freudenfest soll uns aber auch Kraft geben, wenn einmal schwerere Zeiten kommen.
Unser Leben wie ein Fest leben jeden Tag. Wie kann das aussehen? Vor allem bei Jesus selbst, aber auch bei Madeleine Delbrel sehe ich eine Offenheit dafür, dass Gott jederzeit etwas Großartiges schenken kann. Jesus fasst keinen weitreichenden Plan, sondern er reagiert auf die Situationen, die ihm jeden Tag begegnen. So auch hier bei der Hochzeit zu Kana. Madeleine Delbrel sagt auch, wir sollen uns keinen Plan machen, keiner Landkarte und keinem Rezept folgen, sondern uns von Gott finden lassen. Beim Tanzkurs – vor vielen Jahren – habe ich gelernt, dass man sich als Tanzpartnerin führen lassen muss, sonst funktioniert es nicht. Man tritt sich auf die Füße und kann die schönen Figuren nicht gut tanzen. Wenn man sich aber auf die Führung einlässt, dann kann Tanzen sich sehr schön anfühlen.
Und mein damaliger Tanzlehrer meinte immer, dass man als Dame gar nicht gut die Figuren können müsse, wenn man einen Herr habe, der gut führen kann, könnte man eigentlich alles tanzen – naja. Wenn man sich jetzt aber vorstellt, dass Gott, der ist, der führt, dann müssten dabei großartige Dinge zu erreichen sein …
Unser Leben als Fest oder als Tanz bedeutet, nicht alles selbst zu planen, sondern offen zu sein dafür, dass Gott jederzeit auftauchen kann und sich von ihm führen zu lassen. Diese Einstellung wird uns helfen zu merken, wie oft wir uns Dinge nicht selbst erarbeiten, sondern sie geschenkt bekommen. Dann kann Freude und Dankbarkeit in uns wachsen. Und wenn wir spüren, dass wir beschenkt werden, kann uns das helfen, öfter einmal die Kontrolle über unser Leben abzugeben und uns von Gott führen zu lassen.
Vielleicht verbindet sich dann für einen Moment die Herrlichkeit Gottes mit unserer Wirklichkeit und wir gehen verändert in unseren Alltag zurück. Denn wie auf einer Hochzeit feiern wir nicht nur die Gegenwart, sondern sammeln auch Kraft für die Zukunft.
AMEN
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus AMEN
Predigt von Vikar Claudiu Riemer
gehalten am 12. Januar 2025, dem 1. Sonntag nach Epiphanias, in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt, am 80. Jahrestag der Deportation der Angehörigen der Deutschen Minderheit in Arbeitslager der Sowjetunion
Download: Predigt 12. Januar 2025, Claudiu Riemer.pdf
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
heute gedenken wir eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte: Vor 80 Jahren wurden rund 70.000 Menschen, Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien, darunter viele Siebenbürger Sachsen, in die Sowjetunion deportiert – ein Teil unserer Geschichte, die uns bis heute prägt. Dazu möchte ich Ihnen einige Worte aus einem Rundschreiben unseres Bischofs Reinhart Guib vorlesen:
„Mitte Januar jährt sich zum 80. Mal die Deportation von rund 70.000 Seelen der deutschen Minderheit in die Sowjetunion. Rund 30.000 siebenbürgische und weitere Evangelische aus den anderen Landesteilen waren unter ihnen. Männer zwischen 17 und 45 Jahren und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren wurden auf der Grundlage von Listen zusammengetrieben, in Viehwaggons verfrachtet und in die Sowjetunion deportiert. Die Zwangsarbeit mussten sie in Erz- und Kohlegruben der Ukraine und des Urals, sowie in Kolchosen und Fabriken unter lebensgefährlichen Bedingungen leisten. Kälte, Hunger, Kleidungsmangel und Krankheiten waren ihre ständigen Begleiter. Mehr als 15% der deportierten Männer und Frauen starben aufgrund der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen und wurden Opfer von Unterernährung, Krankheit, Misshandlung und Kälte.
Es gebührt sich auch nach 80 Jahren, denen, die stellvertretend für uns alle gelitten haben, und gestorben sind, und tiefe Wunden davongetragen haben, in Ehrfurcht und Andacht zu gedenken und ihnen sowie ihren betroffenen Familien mit Anteilnahme und Zuwendung zu begegnen.“
Die Worte unseres Bischofs erinnern uns daran, wie wichtig es ist, das Leid der Vergangenheit nicht zu vergessen. Doch unser Gedenken bleibt nicht nur bei den dunklen Stunden stehen. Es richtet sich im Glauben auf die Hoffnung, die uns in Christus geschenkt ist. Inmitten des Leids hat Gott ein Wort der Versöhnung und Neuschöpfung gesprochen – Worte, die wir heute in unserem Predigttext hören dürfen.
Predigttext 2. Korinther 5, 17-20:
Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Liebe Gemeinde, die Worte unseres Bischofs haben uns das Ausmaß des Leids in Erinnerung gerufen, das die Deportation vor 80 Jahren mit sich brachte. Tausende Männer und Frauen, viele von ihnen noch sehr jung, wurden aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen, verschleppt und unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt. Familien wurden auseinandergerissen, und unzählige haben diese Zeit nicht überlebt.
Es ist wichtig, dieses Kapitel unserer Geschichte nicht zu verdrängen, sondern es in das Licht unseres Glaubens zu stellen. Der Glaube, der damals vielen Deportierten Kraft gegeben hat, ist auch heute für uns eine Quelle der Hoffnung. Denn er zeigt uns: Gott hat uns in Christus nicht verlassen.
Unser heutiger Predigttext aus dem 2. Korintherbrief spricht von einer Versöhnung, die Gott selbst mit uns bewirkt hat – einer Versöhnung, die uns Frieden schenken kann, auch mitten in Zeiten des Leidens.
Paulus sagt: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“
Diese Worte klingen vielleicht wie ein Widerspruch zu dem, was wir gerade gehört haben: Wie kann etwas Neues entstehen, wenn das Alte – in diesem Fall das alte Leben, die Heimat, die Familie – verloren scheint? Doch genau das ist die Verheißung, die Gott uns in Christus schenkt: Er schafft Neues, wo wir es selbst nicht können.
Wir wollen nun Schritt für Schritt diese Botschaft hören und auf sie sehen, wie sie uns gerade in schweren Zeiten Hoffnung geben kann.
- Vers, 17: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
Liebe Gemeinde, dieser Satz des Apostels Paulus gehört zu den kraftvollsten Aussagen über das, was der Glaube an Christus bewirkt. Doch was bedeutet es, „in Christus“ zu sein, und was ist mit dem „Neuen“ gemeint, das durch ihn entsteht?
1.1 „Ist jemand in Christus“
Paulus spricht hier von einer engen Verbindung mit Jesus Christus. „In Christus“ zu sein bedeutet, dass wir uns ihm im Glauben anvertrauen, dass wir unser Leben in seine Hände legen. Es bedeutet, dass Christus unser Halt ist – stärker als jede äußere Situation und jede innerliche Not. Für die Deportierten von damals war es genau dieser Glaube, der ihnen in schwierigen Umständen oft Kraft gab.
Viele von ihnen hielten sich an der Gewissheit fest, dass sie trotz aller Verluste zu Christus gehören. Sie wussten: Niemand und nichts kann uns aus seiner Hand reißen. Auch wenn das Alte – die Heimat, die Familie, die Sicherheit – zerbrochen ist, schenkt Christus etwas, das niemand zerstören kann: seine Gegenwart und seine Treue.
1.2 „so ist er eine neue Kreatur“
Paulus verwendet das Bild einer „neuen Schöpfung“. Diese Aussage hat zwei Dimensionen:
- Das Neue in unserem Inneren:
In Christus erhalten wir eine neue Identität. Wir sind nicht länger nur durch unsere Vergangenheit definiert, sei sie schmerzlich oder glorreich. In Christus sind wir Kinder Gottes – wertvoll, geliebt und mit einer Hoffnung beschenkt, die über unser irdisches Leben hinausgeht. Für die Deportierten bedeutete das, dass sie trotz der Erniedrigung und Demütigung wussten: Vor Gott sind wir nicht verloren. Wir sind seine geliebten Kinder.
- Das Neue, das Gott schafft:
Dieses Neue ist nicht allein eine innere Erneuerung, sondern ein Vorgeschmack auf die Vollendung, die Gott für die ganze Schöpfung bereithält. Es ist die Zusage, dass Gott alles Leid, allen Verlust und jede Ungerechtigkeit eines Tages überwinden wird. (Offenbarung 21,5: „Siehe, ich mache alles neu.“).
1.3 „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“
Für viele Menschen, die das Leid der Deportation erlebt haben – sei es direkt als Deportierte oder indirekt durch die Auswirkungen in den Familien und die Erzählungen der Großeltern –, scheint das Alte nie wirklich zu vergehen. Die Erinnerung bleibt, die Wunden bleiben. Doch Paulus spricht hier nicht davon, dass das Alte ausgelöscht wird, sondern dass Gott es überwindet. Das bedeutet: Unsere Vergangenheit, sei sie noch so dunkel, definiert uns nicht mehr. Sie wird von Gott verwandelt.
— In Christus ist das „Neue“ keine Verdrängung der Vergangenheit, sondern eine Verheißung, dass selbst das Schrecklichste nicht das letzte Wort hat. —
In einem Artikel las ich die Erzählung eines damals jungen Burschen aus Tschanad, dessen Eltern deportiert wurden und der jeden Abend zu seinen Großeltern zum Schlafen ging und jedes Mal alle Türen zunagelte.– um sie morgens jedes Mal aufgebrochen vorzufinden. Und der zuletzt glücklich war darüber, dass ihm Nachbarn die letzten Schweine, von mehreren Dutzend Sauen und Ferkeln, aus dem Schweinestall holten. Glücklich war der Dreizehnjährige, weil er nach dem letzten Schweineraub endlich weniger Arbeit hatte…
Wir hörten in dieser Geschichte, wie sich eine bedrückende Realität manchmal in einen Moment der Erleichterung oder sogar Hoffnung verwandeln kann – nicht durch Vergessen, sondern durch einen neuen Blickwinkel.
Paulus erinnert uns daran, dass Gott selbst diesen neuen Blickwinkel schenkt. In Christus gibt er uns die Kraft, trotz der Dunkelheit unserer Vergangenheit nach vorn zu schauen, weil er neues Leben verheißt. Es ist eine Perspektive, die Leid und Verlust nicht auslöscht, sie aber in eine Hoffnung einbindet.
- Vers, 18-19: Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
Liebe Gemeinde, diese Verse gehören zum Herzstück der christlichen Botschaft: die Versöhnung, die Gott durch Christus gewirkt hat. Sie zeigen uns nicht nur, was Gott für uns getan hat, sondern auch, welche Aufgabe sich daraus für unser Leben ergibt.
Paulus stellt klar, dass die Versöhnung nicht aus menschlicher Kraft oder Anstrengung stammt. Es ist Gottes Initiative, Gottes Geschenk. In Christus geht Gott den ersten Schritt, um die Trennung zwischen ihm und uns zu überwinden.
Gott handelt. Gott handelt gerade dann, wenn wir machtlos sind. Er ist ein wunderbarer Gott – ein Gott, der nicht aufgibt, sondern eingreift und handelt. Doch Gottes Handeln braucht Zeit, Gottes Handeln braucht Geduld, und Gottes Handeln braucht uns Menschen. Gott handelt durch uns – durch uns Menschen. Damit wir jedoch handeln können, brauchen wir Versöhnung. Diese Versöhnung finden wir in Christus, der uns mit Gott und untereinander versöhnt.
Diese Versöhnung ist die Grundlage, aus der heraus wir unser Leben gestalten können – auch im Angesicht von Schmerz und Verlust.
2.1 „Und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.“
In diesem Amt will ich mein Leben lang bleiben. Das Amt der Versöhnung. Gott hat uns dieses Amt anvertraut. Das heißt: Wer die Versöhnung Gottes erfahren hat, ist berufen, sie weiterzugeben. Berufen – Brücken zu bauen: zwischen Generationen, zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und zwischen alten Wunden und neuer Hoffnung.
Diese Verse zeigen uns, dass Versöhnung mit Gott der Anfang für alles andere ist. Wer diese Versöhnung erlebt, kann auch mit der eigenen Vergangenheit Frieden schließen – mit dem eigenen Leid, aber auch mit der Ungerechtigkeit, die einem widerfahren ist.
- Vers, 20: So sind wir nun Botschafter an Christi statt, . . .
Liebe Gemeinde, dieser Vers bringt die Botschaft auf den Punkt: Wer die Versöhnung Gottes erfahren hat, ist berufen, sie weiterzugeben. Paulus sieht sich und uns als Botschafter “in Christi Auftrag“ – oder “als Vertreter Christi”.
Ein Botschafter vertritt nicht sich selbst, sondern den, der ihn gesandt hat. Wir sprechen und handeln im Auftrag Christi. Es ist nicht unsere Botschaft, die wir weitergeben, sondern seine. Gott selbst spricht durch uns. Das ist eine große Ehre, aber auch eine große Verantwortung.
Für die Deportierten bedeutete diese Rolle oft, den Glauben und die Hoffnung trotz schwerster Prüfungen weiterzugeben. Viele von ihnen wurden durch ihren Glauben zu Botschaftern der Hoffnung für andere.
Über einen solchen Botschafter durfte ich in einer E-Mail lesen. Es ist der Großvater unseres Stadtpfarrers. Er hieß Walter Scheeser und war Kirchenvater in der Honterusgemeinde. Er verstarb 1976. Die E-Mail, die mir Stadtpfarrer Christian Plajer geschrieben hat, erzählt Folgendes:
„Er ist mit 76 ganz plötzlich an Herzversagen verstorben, niemand hatte damit gerechnet. Eher zufällig haben meine Mutter und ihre Brüder dann bei seinen Schreibsachen ein Testament von ihm gefunden. Offenbar hatte er das nicht lange vor seinem Tod geschrieben – vermutlich hatte er sowas wie eine Vorahnung; meine Großmutter erzählte, er hätte in den Tagen bevor er starb immer etwas an der Schreibmaschine zu schreiben gehabt…
Ich habe das Testament leider nicht, ich erinnere mich aber, daß es ein eindrückliches Bekenntnis des Glaubens ist.
Der größte Wunsch meines Großvaters für seine Familie war eben dieser, daß sie an Jesus Christus glauben möge bzw. dass es ihnen geschenkt sein möge, daß sie sich erfreuen können an dieser ganz besonderen Gabe des Glaubens und was sie alles Gutes im Leben bewirkt.“
Liebe Gemeinde, die Botschaft von Walter Scheeser hat tief in seiner Familie Wurzeln geschlagen und lebt bis heute in ihr weiter. Sein Enkel, unser Stadtpfarrer, ist ein lebendiges Zeugnis dieser Weitergabe des Glaubens. Er trägt die Hoffnung und den Glauben seines Großvaters weiter und ist so selbst zu einem Botschafter Christi geworden – in unserer Gemeinde und für viele andere.
Genau dazu lädt uns Paulus ein: Lasst uns die Versöhnung, die wir durch Christus erfahren haben, in unserer Welt lebendig machen – in Worten und in Taten.
Amen.
Und der Friede Gottes der größer ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Predigt von Pfarrerin Christiane Schöll
gehalten am 15. Dezember 2024, dem 3. Advent in der evangelischen Kirche in der Blumenau, Kronstadt
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Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater durch unseren Herrn Jesus Christus. AMEN.
Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Lukasevangelium im 3. Kapitel:
Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jes 40,3-5): „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.“
Der Herr segne sein Wort an uns allen. AMEN.
Liebe Schwestern und Brüder,
In den letzten Wochen erleben wir in Rumänien – nicht zum ersten Mal – eine große politische und gesellschaftliche Herausforderung. Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hat viele Menschen sehr erschreckt. Ich habe von mehreren Seiten gehört, dass man die Nacht von Sonntag auf Montag vor drei Wochen kaum schlafen konnte. Jetzt wurde die erste Runde der Präsidentschaftswahlen vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt. Viele von uns schwanken zwischen Sorgen und Hoffnung. Wie wird sich die Lage nun weiter entwickeln? Es ist zu befürchten, dass die Spaltungen im Land noch größer werden und sich die Fronten verhärten. Wer wird letztlich die Macht übernehmen und dieses Land führen?
Kann eine Wende stattfinden oder führt der politische Weg erst einmal in noch größere Unsicherheiten?
In der ADZ vom Freitag schrieb die Chefredakteurin Nina May einen langen Kommentar zur politischen Situation nach den annullierten Wahlen. Auch sie redet von großen Spannungen im Land, vom Möchtegern-Präsidenten, der als Erlöser aufgetreten ist. Am Anfang ihres Artikels schreibt sie:
„Ich sitze in einem Zug mit unbekanntem Ziel, der zunehmend an Fahrt aufnimmt. Ich sehe aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus und hoffe, dass die Sonne endlich aufgeht! Finde mich stattdessen wieder in einer Achterbahnfahrt zwischen Fassungslosigkeit, Hoffnungsfunken, Enttäuschung und ja, sogar Wut!“
Zeiten der Unruhe und der Unsicherheit erleben wir Menschen immer wieder – im privaten Bereich, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Unser heutiger Predigttext erinnert uns inmitten unserer Sorgen und Fragen an eine sehr entscheidende Frage: Wer soll wirklich unser Herr sein? Johannes der Täufer richtet den Blick der Menschen seiner Zeit und auch unseren Blick heute auf den, der wahrhaft regiert: Gott selbst soll König sein und Jesus Christus ist der einzige Retter, der wirklich von Gott kommt.
Bereitet dem Herrn den Weg. Das ist die Botschaft von Johannes dem Täufer. Er tritt in einer ganz bestimmten Zeit auf.
Dem Evangelisten Lukas war es sehr wichtig, auf die damalige politische Situation hinzuweisen. Denn er verwendet hier viele Wort, um zu berichten, wer zur Zeit des Johannes an der Macht war. Wenn Lukas nur hätte beschreiben wollen, in welcher Zeit Johannes gelebt und gewirkt hat, dann hätten viel weniger Worte genügt. Aber unser Text zählt viele verschiedene Machthaber der damaligen Zeit auf: vom Kaiser über Pontius Pilatus bis zu den religiösen Würdenträgern. Die Mehrheit der Bevölkerung verbindet nicht viel Gutes mit diesen Namen. Diese Machthaber stehen für Ausbeutung und Korruption. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich Erlösung von diesen Unterdrückern.
Sie warten auf den Retter Gottes, der sie befreien soll. Die Sehnsucht wächst von Tag zu Tag. Und die Unzufriedenheit auch.
Bereitet dem Herrn den Weg. Mit diesen Worten tritt Johannes der Täufer in Erscheinung. Er wird bewusst als Gegensatz zu den Machthabern der damaligen Zeit präsentiert. Er hat kein schickes Haus in der Stadt, sondern lebt unter sehr einfachen Bedingungen in der Wüste. Die Menschen sind von ihm fasziniert, weil er glaubhaft ist. Er lebt das, was er auch verkündigt. Und das hat auch uns heutzutage viel zu sagen.
Erstens vermittelt Johannes: „Nicht ich bin der Messias, sondern der Retter wird nach mir kommen. Ich bin es nicht einmal wert seine Schuhe zu binden.“ Wenn Politiker uns vermitteln, dass sie selbst die Rettung bringen, dann sollten wir diesen mit Misstrauen begegnen. Johannes stellt sich ganz anders dar als zum Beispiel die Kaiser Roms. Diesen war sehr wichtig zu betonen, dass sie selbst als Söhne Gottes der Welt die Rettung bringen. Johannes dagegen beansprucht keine Macht für sich selbst. Er will, dass Gott regiert. Gott soll unser König sein!
Zweitens sagt Johannes zu den Menschen, die zu ihm kommen: Tut Buße!
Das heißt, die Menschen sollen sich selbst hinterfragen, wo entspricht ihre eigene Einstellung und ihr Verhalten nicht dem Willen Gottes? Johannes betont, dass jeder einzelne gerecht handeln soll. Er sagt: Wer zwei Hemden hat, soll ein Hemd abgeben an jemanden, der keines hat, und wer genug zu essen hat, soll davon auch abgeben. Die Soldaten und Zöllner sollen ihre Mitmenschen nicht mehr unterdrücken und ausbeuten.
Mit seinen Worten macht Johannes die Menschen damals und auch uns darauf aufmerksam, dass Veränderung bei uns selbst anfängt. Er nimmt uns in die Verantwortung. Wir sollen uns nicht auf irgendwelche Machthaber verlassen, die für uns die Welt in Ordnung bringen. Jeder von uns kann etwas dazu beitragen, dass die Welt um uns her ein bisschen besser wird.
Wir sollen uns nicht entmutigen lassen und denken, dass wir selbst zu klein und zu schwach sind, um Veränderungen zu bringen. Denn in unseren Anstrengungen für Gerechtigkeit und Recht ist Gott immer auf unserer Seite. Er selbst kommt uns zu Hilfe!
Johannes sieht sich mit seinen Worten und seinem Verhalten in der Tradition der Propheten. Ganz besonders in der Tradition des Propheten Jesaja, den er in unserem Predigttext sehr ausführlich zitiert. Die Propheten haben versucht, den Menschen zu zeigen, was Gottes Wille ist und wo ihre Einstellungen und ihr Handeln nicht dem Willen Gottes entsprechen.
Für viele Propheten ist ein sehr wichtiges Kennzeichen, ob man eine Frau oder ein Mann Gottes ist, wie man sich gegenüber den Armen und Schwachen verhält. Sie fordern, dass man für das Recht dieser Menschen am Rande der Gesellschaft eintritt. Und oft habe sie den Machthabern ihrer Zeit vorgeworfen, dass sie eben nicht Gottes Willen tun. Wer die Armen und Schwachen ausbeutet und zu Sklaven macht, ist nicht auf Gottes Seite. Sie betonen: Wer so handelt, gefällt Gott nicht. Diese Menschen können Gott noch so viele Opfer bringen. Was sie tun, bleibt Unrecht und sie stehen Gott nicht nahe. Der wahre Gottesdienst, der Gott gefällt – so betonen viele der Propheten – ist, Recht für die Unterdrückten herzustellen.
Viele der Propheten haben große Probleme mit den Machthabern bekommen, weil sie auf Ungerechtigkeit hingewiesen haben.
Und Johannes dem Täufer ergeht es auch so. Er weist auch König Herodes auf Vergehen hin, die er begangen hat und er wird dafür von Herodes ins Gefängnis geworfen. Aber Jesus betont, dass Johannes es absolut richtig gemacht hat. Jesus sagt über Johannes:
Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
„Bereitet dem Herrn den Weg“ ist nicht nur die Botschaft Johannes’ des Täufers.
Sie ist auch ein wichtiges Thema für unsere Adventszeit. Gott hat uns versprochen, dass er uns besuchen kommt. Und wir dürfen ihn innerlich erwarten. Er kann unsere Herzen berühren und uns inneren Frieden und Hoffnung schenken. Und darauf warte auch ich sehnsüchtig. Aber wenn Gott kommt, hat das auch mit der Welt um uns her zu tun. Unsere innere Einstellung hat Folgen für unser Handeln. Wir richten uns nach Gott, wenn wir fragen, was richtig und falsch ist und das hat dann auch eine politische Dimension, weil Politik zu unserem Leben in der Welt gehört.
Johannes der Täufer und die Propheten helfen auch uns, die Machthaber unserer Zeit zu hinterfragen. Sind sie auf Gottes Seite oder nicht?
Wir können uns Johannes zum Vorbild nehmen. Er hat in der Überzeugung gelebt, dass allein Gott unser König sein soll.
Wie dieses Königtum Gottes aussehen soll, hat Jesus uns besonders deutlich gezeigt. Es herrscht dort nicht Macht und Gewalt, sondern Friede, Liebe und Gerechtigkeit. Jesus geht zu denen am Rand der Bevölkerung. Er hilft den Kranken und den Armen. Er lehrt uns zu teilen und andere so zu behandeln, wie wir auch selbst behandelt werden möchten. Jesus zeigt uns, wie auch schon die Propheten und Johannes der Täufer: Gott ist ein gerechter König. Er tritt ein für die, die Unrecht erleiden, für die am Rande der Bevölkerung, für die Armen und Ausgebeuteten. Gott will, dass all diesen Menschen zu ihrem Recht verholfen wird.
Wenn wir in der Überzeugung leben, dass Gott unser König ist, dann haben auch wir den Auftrag, uns für diese Gerechtigkeit einzusetzen.
Bereit auch ich dem Herrn den Weg? Johannes der Täufer war eine ganz besondere Person und ich will mich auf keinen Fall mit ihm vergleichen. Aber während ich diese Predigt geschrieben habe, wurde mir bewusst, dass auch meine Überzeugungen schon manchmal mit der Politik in Konflikt geraten sind – allerdings nur auf komunaler Ebene:
In Politik mische ich mich nicht ein („Nu mă bag“). Das war immer das Motto meines Mannes und von mir selbst, während der Kommunalwahlen der letzten zehn Jahre, seit wir hier in Rumänien wohnen.
Wir wollten gern ganz unpolitisch unsere Ziele verfolgen. Den Kindern auf den Dörfern Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Wir wollen Kreativität fördern und das Entwickeln einer eigenen Meinung. Und wir wollen zu Frieden und Gerechtigkeit beitragen, indem wir versuchen, einen Ort zu schaffen, an dem sich Kinder unterschiedlicher Herkunft treffen, so dass sich die verschiedenen Kinder kennenlernen können. Unsere Hoffnung ist, dass so Vorurteile zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen abgebaut werden. Wir haben keine politischen Aussagen gemacht und schon gar keine Aussage dafür gemacht, wen wir für wählbar halten und wen nicht. Wir wollten ganz bewusst niemanden beeinflussen. Und doch war es bis jetzt bei jeder Wahl so, dass sich Politiker von uns angegriffen gefühlt haben.
Uns wurden während der letzten Wahlperioden schon die absurdesten Vorwürfe gemacht. Einmal wurde behauptet, wir wollten die ungarisch-reformierte Kirche und auch den Friedhof von Cobor kaufen und dann von allen Gemeindegliedern Gebühren verlangen, die den Gottesdienst oder den Friedhof besuchen möchten. Ein anderes Mal wurde uns vorgeworfen, wir hätten eine der Wahlurnen geklaut, um die Wahlen zu behindern!! Jedes Mal vor den Wahlen ließen viele Eltern ihre Kinder nicht mehr zu uns ins Programm kommen.
Wenn ich unseren heutigen Predigttext höre und mir das Leben Johannes des Täufers ansehe, wird mir immer klarer, warum wir doch jedes Mal hineingezogen wurden in die Politik:
Johannes hatte viele Bewunderer für sein Auftreten und auch viele Feinde. Bei ihm wird ganz deutlich, wenn wir so leben, dass Gott unser König ist, dann kritisiert das diejenigen, die nur Macht für sich selbst wollen. Gott unser König wünscht sich Gerechtigkeit und Frieden für Arme und Reiche, für Schwache und Starke. Wenn wir diesem König den Weg bereiten, dann passiert nicht nur in unserer inneren Einstellung etwas. Unsere Einstellung hat auch Auswirkungen auf unser Leben, und zu diesem Leben gehört immer auch eine politische Dimension. Denn wir sind ein Teil unserer Gesellschaft.
Wenn wir in der Überzeugung leben, dass nur Gott unser König sein soll, dann müssen sich auch die Machthaber dieser Welt an den Maßstäben Gottes messen lassen. Und dann fühlt sich so mancher – wahrscheinlich zu Recht – kritisiert.
Bereitet dem Herrn den Weg. Das ist ein Aufforderung, die viele Folgen hat für unser Leben und die uns Verantwortung überträgt. Aber in dieser Aufforderung schwingt auch schon die wunderbare Verheißung mit, die uns Johannes am Ende unseres Predigttextes zuspricht:
„Und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen!“
Trotz aller Unsicherheiten damals wie heute dürfen wir wissen: Unser Herr regiert. Sein Heil ist größer als jede politische Krise, und sein Reich ist unerschütterlich. AMEN.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.